„Der eine Mann“ – Andrew Gross

…“Dieser Mann … wenn ich ihn raushole … hilft es, Leben zu retten, oder löscht es weitere aus?“
„Letztendlich“ – Schattenseite und Abgründe des Krieges zeichneten sich in seinen eingesunkenen Augen ab – „trifft beides zu. Ich kann Ihnen leider nichts anderes sagen.“ … (Seite 108)

Der alte Mann sieht sie an. Zum ersten Mal seit langer Zeit blitzen lebhafte Erinnerungen in seinen Pupillen auf. »Sie rannten um ihr Leben …«

1944. Nathan Blum ist ein Flüchtling aus dem polnischen Ghetto, der beim Geheimdienst in Washington gelandet ist. Er träumt davon, sich an den Nazis für die Ermordung seiner gesamten Familie zu rächen. Und nur deshalb nimmt er den Auftrag von US-Präsident Roosevelt an …
Blum lässt sich in das Konzentrationslager Auschwitz einschleusen, um den jüdischen Physikprofessor Alfred Mendl vor dem sicheren Tod zu bewahren – denn durch seine Forschungen hält Mendl den Schlüssel zum Ende des Zweiten Weltkriegs in den Händen.
Doch schnell begreift Blum, dass der Plan völlig aussichtslos ist. Auch er wird in diesem KZ den Tod finden …

Nathan Blum, gerade mal 23, stammt aus Polen und ist über Umwege jedoch in Amerika gelandet. Nachdem er vom Tod seiner Familie erfährt, bricht er sein Studium ab und geht zum Geheimdienst, wo er Dank seiner Sprachkenntnisse Dokumente decodiert. Doch er will mehr, er will helfen, sein Land von den Deutschen zu befreien und schließlich bekommt er seine Chance, allerdings gleicht die eher einem Himmelfahrtskommando, denn er soll sich ins KZ Auschwitz einschleichen und dort einen ihm völlig fremden Mann befreien. Seine Fähigkeit, sich möglichst unbemerkt zu bewegen und seine Muttersprache machen ihn zum perfekten Kandidaten für diese Mission. Für die Rettungsaktion hat er jedoch nur drei Tage Zeit, hinzu kommt dass niemand weiß, ob Alfred Mendl überhaupt noch lebt, immerhin ist er nicht mehr der jüngste und die Zustände im Lager sind grauenvoll.
Für Blum ist dieser Auftrag eine Art Wiedergutmachung, fühlt er sich doch schuldig, seine Familie im Stich gelassen zu haben und so nimmt er an, ohne zu wissen, worauf er sich eingelassen hat.
Doch auch der Professor ist sich bewusst, dass der Tod jeden Tag an seine Tür klopfen kann und trifft seine eigenen Vorkehrungen …

„Der eine Mann“ hat mich tatsächlich einige Zeit gekostet, so rein lesetechnisch, denn einfach so hintereinander weglesen, hat hier für mich nicht funktioniert und das nicht etwas, weil das Buch schlecht war, nein, das Geschehen musste sich ab und an mal setzen. Die Charaktere haben Tiefgang und so nimmt den Leser ihr Schicksal mit.
Nathan Blum, der seine Familie verloren hat, sich schuldig fühlt und aus dem Grund diesen eigentlich aussichtslosen Einsatz angenommen hat. Doch auch Alfred Mendl, Blums „Zielobjekt“ hat einiges hinter sich, einst war er ein angesehener Physikprofessor, jetzt kann jeder Tag im KZ sein letzter sein, seine Gesundheit ist angeschlagen, die Zustände in Auschwitz katastrophal. Aber er hat eine wichtige Entdeckung gemacht, die es irgendwie nach draußen schaffen muss.
Am meisten beeindruckt hat mich allerdings Leo, der Schachmeister des Lagers, fast selbst noch ein Kind, aber eben auch ein kleines Genie. Selbst ihm ist bewusst, dass er das Lager nicht lebendig verlassen wird und so nutz er jede Chance, dem tristen Alltag zu entfliehen. 
Natürlich gibt es noch mehr Protagonisten, die Frau des Lagerkommandanten zum Beispiel. Sie alle teilen dasselbe Schicksal, sie sind Gefangene, können ihrer derzeitigen Lage nicht entkommen … Und dennoch gibt es in all der Finsternis immer wieder kleine Lichtstreifen am Horizont, Häftlinge, die füreinander einstehen, die sich gegenseitig helfen, obwohl sie wissen, dass der Preis dafür hoch ist. Andrew Gross verleiht seinen Charakteren Tiefe, gibt ihnen eine Geschichte, man kann gar nicht anders, als sie zu mögen, nun ja, die meisten zumindest.
Den alten Mann zu Beginn des Buches seine Geschichte erzählen zu lassen, erweist sich als geschickter Schachzug, denn erstmal hat man keine Ahnung, wer er ist und welche Rolle er im Geschehen spielt. Mit seinem Rückblick überrascht er nicht nur seine Tochter, die so etwas vollkommen Neues über ihren Dad erfährt, nein, er zeigt uns allen auch, welch bewegende Leben die Kriegsgeneration hinter sich hat, wir müssen nur lernen zuzuhören … 

„Der eine Mann“ hat mich persönlich sehr berührt, so sehr, dass ich es teilweise zu Seite legen musste und zwischendurch erstmal zu einem anderen Buch gegriffen habe. Natürlich ist das Thema nicht jedermanns Sache, es geht um die Juden, Auschwitz, die US Regierung, kurzum, um, wenn auch fiktive, Geschichte. Wer jetzt noch nicht schreiend weggelaufen ist, dem kann ich das Buch nur wärmstens ans Herz legen, von mir bekommt es 4,5 von 5 Miezekatzen.


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