“ … Draußen in der Nacht heulte es wieder und die Ghule rückten noch näher ans Feuer. Bod hörte, wie sie schnaubten und fluchten. Vor Heimweh ganz elend, schloss er die Augen. Er wollte kein Ghul werden. …“ (Seite 85)
Spannend, gruselig und voller fantastischer Ideen erzählt der preisgekrönte Neil Gaiman von Nobody Owens, der auf einem Friedhof von Geistern und Untoten aufgezogen wird – eine wahrlich schaurig-schöne Geschichte!
Nobody Owens ist ein eher unauffälliger Junge. Er lebt auf dem Friedhof, liebevoll erzogen und behütet von den Geistern und Untoten, die dort zu Hause sind. Doch der tödliche Feind, vor dem der kleine Bod einst auf den Friedhof floh, ruht nicht. Er wartet auf den Tag, an dem Bod sein Zuhause verlassen wird, um zurückzukehren in die Welt der Lebenden. Wer wird Nobody dann noch beschützen?
Jack kommt in einer nebligen Nacht um seinen Auftrag zu erfüllen. Vater, Mutter und die Tochter hat er bereits getötet, nur von dem kleinen Sohn fehlt jede Spur, sein Bettchen ist leer. Durch die offene Haustür krabbelt der kleine auf den naheliegenden Friedhof, wo er von den dort lebenden Geistern entdeckt wird und Muttergefühle in Mrs. Owens weckt. Nobody oder kurz Bod, wie sie ihn nennen, darf bleiben und bekommt den Vampir Silas als Lehrmeister an die Seite gestellt.
Doch Jack ist immer noch da draußen und wartet darauf, seinen Auftrag endlich erfüllen zu können.
Mit Geistern zwischen Gräbern tollen, Ausflüge in Gruften und Mausoleen unternehmen, ja, man kann durchaus sagen der kleine Nobody führt ein ungewöhnliches Leben. Was für den Einen oder Anderen nach einer Menge Spaß klingt, ist aber eher einem Albtraum geschuldet, denn Bods Eltern wurden brutal ermordet während ihr Baby ausgerechnet diese Nacht auswählte, um aus dem Bettchen zu klettern und eine Krabbeltour zu unternehmen. Da der Killer die Haustür offen gelassen hat, landet der kleine Junge auf dem benachbarten Friedhof, wo er nicht unbemerkt bleibt. Sein Erscheinen sorgt für eine hastig einberufene Versammlung, bei der die Einwohner abstimmen, was aus dem ungewöhnlichen Besucher werden soll und er darf bleiben. So wächst Bod beschützt zwischen Grabsteinen, Geistern, Vampiren, Hexen und Werwölfen auf, fühlt sich aber immer wieder fehl am Platze, denn es gibt Dinge, die er als Mensch niemals lernen wird. Und dann ist da noch das verlockende Leben außerhalb der Mauern.
Mit „Das Graveyard Buch“ hat Neil Gaiman neben „Coraline“ in weiteres großartiges Kinderbuch erschaffen, allerdings frage ich mich hier einmal mehr, was dieser dämliche deutsche Titel soll. Warum kann nicht einfach den vom Original übernehmen oder ihn übersetzen? Was soll diese Mischung aus beidem? Ich habe keine Ahnung, was sich die Verlage dabei denken, Sinn macht das irgendwie nicht. Aber zurück zum Buch, das, wie schon „Coraline“ eine etwas andere und dennoch wunderbare Geschichte erzählt, in der Geister und Vampire ein fürsorglicher Familienersatz für einen kleinen Jungen sind und ihm nicht nur Lesen und Schreiben beibringen, sondern ihn auf das Leben da draußen vorbereiten. Zumindest so gut sie es eben können, denn allen ist klar, dass Bod den Friedhof irgendwann verlassen wird. Bis dahin erlebt man den Alltag der Toten mit, der sich nicht wirklich von dem der Lebenden unterscheidet, es gibt Hausarbeiten und Feiern, man hält sich an Regeln. Wer Gaiman kennt, weiß, dass man hier kein rasantes oder blutiges Fantasy-Abenteuer erwarten darf, stattdessen bekommt den Leser eine ruhig erzählte Geschichte mit wunderbar tiefgründigen Figuren, die man einfach lieben muss. Vor allem Silas, den Vampir und Miss Lupescu, die Werwölfin, beide haben ein wahnsinnig großes Herz, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint. Aber so ist das ja oft im Leben.
Schon allein aufgrund des Schauplatzes und der Figuren sticht Gaimans Werk aus den üblichen Kinderbüchern heraus und wie üblich widmet er sich auch hier wieder Themen, die manche vielleicht nicht unbedingt als kindgerecht empfinden. Es geht um Verlust, darum, sich als Außenseiter zu fühlen, nirgendwo so richtig hinzugehören, um Zusammenhalt, Freundschaft … Gaimans Geschichte ist trotz des düsteren Anfangs sehr poetisch geschrieben und mit kleinen Lebensweisheiten gespickt, als Kind hätte ich „Das Graveyard Buch“ geliebt und mir einen Freund wie Bod gewünscht, aber hey, auch als Erwachsene tue ich das immer noch.^^
Wer Bod, den kleinen Jungen vom Friedhof und seine etwas andere bezaubernde Familie nicht mag, hat kein Herz. Ein tolles Kinderbuch voller Humor, Lebensweisheit und liebenswerten Figuren, das seine 4,5 von 5 Miezekatzen mehr als verdient hat.