„Später“ – Stephen King

“ … So jedoch legte ich nur den Kopf auf Mamas Schulter wie damals, als ich noch klein war und dachte, mein Hand-Truthahn sei das größte Kunstwerk seit der Mona Lisa. Mal ehrlich, das Schlimmste am Erwachsenwerden ist, dass es einen derart zum Schweigen bringt. …“ (Seite 156)

Ich fange nicht gern mit einer Rechtfertigung an, aber ich glaube, das tun zu müssen. Es geht um ein bestimmtes Wort, das ich ständig verwende. Es lautet später. Ich weiß, dass das monoton klingt, aber ich habe keine andere Wahl. Es gibt immer ein Später.

Ja, ich kann tote Leute sehen, und das Ganze hier ist wohl eine Horrorstory.
Also dann mal los.

James wächst bei seiner Mutter Tia auf, die als Literaturagentin arbeitet. Gegründet hat die Firma ihr Bruder, der an Alzheimer leidet und schon in jungen Jahren zum Pflegefall wird und in einem Heim lebt. 
Jamie ist nicht wie andere Kinder, denn er kann Tote sehen und nicht nur das, er kann auch mit ihnen reden und stellt dabei fest, dass sie ihm immer die Wahrheit sagen müssen.
Als ein Autor, den seine Mutter vertritt, plötzlich verstirbt, bevor er das im Vorfeld bereits hochangepriesene letzte Buch einer Reihe beenden kann, nutzt der Junge seine Gabe zum ersten mal und setzt damit etwas in Gang, das sich nicht mehr aufhalten lässt.

Zuerst einmal, ich liebe King, bin mit seinen Büchern aufgewachsen, trotzdem haben mich die letzten nicht mehr ganz so begeistert, besonders „Doctor Sleep“ war für mich eine herbe Enttäuschung. Und ich muss gestehen, ich hab gar nicht alle gelesen, einfach weil mich manches thematisch einfach gar nicht interessiert hat. Der Klappentext von „Später“ hat mich endlich wieder aufhorchen lassen und auch wenn ich sonst immer warte, bis das Taschenbuch erscheint, habe ich diesmal mit meiner Regel gebrochen. Aber hat sich das auch gelohnt?

Jamie ist sechs, als die Frau des Nachbarn, eines Professors im Ruhestand, stirb. Im Nachthemd sieht er sie im Hausflur neben ihrem toten Mann stehen. Eh man das als Leser versteht, vergeht jedoch erstmal ein Moment, denn für das Kind stehen dort Nachbar und Nachbarin. Das die Frau gerade erst verstorben ist, wird einem erst nach und nach klar, denn nur Jamie kann sie sehen, sie redet sogar mit ihm.
So begegnet der Leser dem Jungen und natürlich fühlt man sich sofort an Cole, den neunjährigen Jungen mit den großen Kulleraugen aus „The Sixth Sense“ erinnert, auch wenn die Geschichte hier bald in eine ganz andere Richtung geht.
Was für eine Kindheit, Jamie tut mir einfach nur unheimlich leid. Er sieht die Toten nicht nur, nein, später er soll mit ihnen kommunizieren, beim ersten Mal ausgerechnet für seine Mutter.
Auch wenn die sich sicherlich in einer Notlage befindet, scheint sie sich nicht darüber klar zu sein, was sie ihrem Kind damit antut.
Überhaupt bin ich mir bei ihr nicht sicher, was ich von ihr halten soll. Einerseits scheint sie nur ihre Arbeit im Kopf zu haben und so wenig Zeit für ihr Kind, (ja, als Alleinerziehende lässt sich das manchmal einfach nicht vermeiden) andererseits gibt es da wieder Momente, in denen ich sie wirklich sympathisch finde. Auch sie hat es nicht leicht und muss in harten Zeiten ums Überleben kämpfen.
Mit Liz, der Exfreundin von Tia, verhält es sich ähnlich. Okay, etwas wirklich Gutes finde ich nicht an ihr, dennoch ruft sich Jamie immer die alten Zeiten in Erinnerung, obwohl er inzwischen weiß, dass diese Frau für ihn und seine Mutter pures Gift ist.
Faszinierend finde ich, dass Stephen King diesmal mit sehr wenigen Charakteren auskommt, eigentlich sind da nur Jamie, Tia, Liz und der Professor. Der alte Mann wird zu Jamie zu einer wichtigen Bezugsperson, denn auch wenn er die 80er längst überschritten hat, ist er geistig noch topfit und kann sich einiges zusammenreimen.
Fast ist er so etwas wie eine Vaterfigur, zwar keine, die mit dem Jungen Baseball spielen geht, ihn dafür aber auf andere Weise unterstützt, den Professor im Ruhestand muss man einfach ins Herz schließen.
Der Horror schleicht sich eher langsam in die Geschichte ein und das Böse weckt Erinnerungen an ein anderes Buch von King, eines meiner liebsten, nämlich „Es“. Allerdings hat Jamie hier keine Freunde, die ihm zur Seite stehen.
Dafür ist „Später“ eine wahre Fundgrube für Zitate. Eines davon steht schon oben, aber auch ein anderes hat mich sehr berührt:

… „Wir verändern uns, und wir verändern uns nicht. Das kann ich nicht erklären. Es ist ein Geheimnis.“ … (Seite 210)

Einen klitzekleinen Kritikpunkt habe ich allerdings, aber das ist Meckern auf sehr hohem Niveau.
Das ständige darauf Hinweisen, dass es sich hierbei um eine Horrorstory handelt, fand ich dezent nervig.^^

Nein, „Später“ ist nicht so gruselig wie „Shining“ oder „Friedhof der Kuscheltiere“, aber es geht zu Herzen und King kann damit bei mir endlich mal wieder auf ganzer Linie punkten, sowohl mit der Geschichte, als auch mit den Charakteren.
Etwas anderes als volle Punktzahl kommt hier für mich gar nicht in Frage, 5 von 5 Miezekatzen und vielleicht gibt es ja nochmal ein Wiedersehen mit Jamie.

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