“ … Vielleicht ist es bei den Nazis in Deutschland genau so gelaufen, bei den Serben in Bosnien, den Hutus in Ruanda. Ich habe mir oft überlegt, wie sich Kinder in Monster verwandeln, wie sie lernen können, dass Töten richtig ist und Unterdrückung gerecht, wie sich in einer einzigen Generation die Welt auf ihrer Achse drehen und in einen Ort verwandeln kann, der nicht wiederzuerkennen ist. …“ (Seite 133)
Ihr könnt uns die Wörter nehmen, aber zum Schweigen bringen könnt ihr uns nicht!
Als die neue Regierung anordnet, dass Frauen ab sofort nicht mehr als hundert Wörter am Tag sprechen dürfen, will Jean McClellan diese wahnwitzige Nachricht nicht wahrhaben – das kann nicht passieren. Nicht im 21. Jahrhundert. Nicht in Amerika. Nicht ihr.
Das ist der Anfang.
Schon bald kann Jean ihren Beruf als Wissenschaftlerin nicht länger ausüben. Schon bald wird ihrer Tochter Sonia in der Schule nicht länger Lesen und Schreiben beigebracht. Sie und alle Mädchen und Frauen werden ihres Stimmrechts, ihres Lebensmuts, ihrer Träume beraubt.
Aber das ist nicht das Ende.
Für Sonia und alle entmündigten Frauen will Jean sich ihre Stimme zurückerkämpfen.
#100Wörter
100 Worte, mehr sind den Frauen in Amerika nicht mehr erlaubt. Egal ob sie das Kind trösten oder dem Arzt Symptome schildern sollen, 100 Worte müssen dafür ausreichen, sonsten folgt eine Strafe in Form von Stromschlägen, die immer stärker werden.Bereits kleine Mädchen bekommen das Armband mit dem Zähler verpasst, verziert mit bunten Bildchen, von klein auf sollen sie lernen, dass Haushalt und Kindererziehung das einzig Wahre in ihrem Leben ist.
Natürlich ist das alles nur zum Wohl der weiblichen Bevölkerung, arbeiten ist tabu, lesen ebenfalls, wer aufmuckt, wird abtransportiert.
Zum Schweigen verdammt sein, der Albtraum so gut wie jeder Frau. Nur 100 Worte sind täglich erlaubt und die muss man sich ganz genau einteilen. Schon allein die Vorstellung ist schrecklich und ich würde wohl recht schnell gebrutzelt in die Hölle fahren. Aber um mich geht es hier nicht, sondern um Jean. Die war einmal Neurolinguistin, stand mit ihrem Team kurz vor einem großen Durchbruch, jetzt tut sie dasselbe wie alle Frauen Amerikas, sie kümmert sich um Haushalt und Familie, ist entmündigt, gedemütigt, auf ihren Mann angewiesen. Sie darf ihrer kleinen Tochter keine Gute Nacht Geschichten vorlesen, kann sie nicht trösten, wenn sie völlig fertig aus der Schule nach Hause kommt. Fast noch mehr macht ihr allerdings zu schaffen, dass ihr Teenagersohn Steven diese Zustände vollkommen in Ordnung findet und ihr immer wieder zu verstehen gibt, dass er als Mann das Sagen hat.
Christina Dalchers Vision von Amerika in „VOX“, das passenderweise nichts anderes als Stimme heißt, ist erschreckend, die Lage der Frauen scheint aussichtslos und irgendwie erinnert die ganze Geschichte an Margaret Atwoods „Der Report der Magd“, nur habe ich dort mit Desfred mitgefiebert, wahrscheinlich auch, weil ich wesentlich mehr über sie und ihr Leben erfahren habe, Jean hingegen bleibt für mich ein bisschen farblos. Das macht die Lovestory, die es hier natürlich auch gibt, nicht besser. Gut gefallen haben mir hingegen die Rückblicke auf ihre Studienzeit mit Jackie, deren Ansichten sie damals nur belächelt hat. Wobei Jackie auch wieder ein ganz eigenes Kaliber ist und ich mir nicht so ganz sicher bin, was ich von ihr halten soll. Mit Patrick, Jeans Mann, ergeht es mir ähnlich. „VOX“ hat mich zu Beginn wirklich gefesselt hat, immer wieder habe ich mich gefragt, wie ich wohl mit solch einer Situation umgehen würde. Doch Jean wurde mir im Laufe der Zeit immer unsympathischer, ihr Handeln immer egoistischer. Sie ist keine Heldin, niemand, an dem man sich ein Beispiel nehmen sollte, dabei hätte das Buch eine solche Frau gebraucht.
„VOX“ bietet eine Geschichte, die zum Nachdenken anregt, aber auch Figuren, die mich nicht wirklich überzeugen, ich kann beim besten Willen nicht sagen, wen ich am Liebsten mochte, hier hat die Autorin meiner Meinung nach leider viel Potenzial verschenkt. Auch das Ende kommt zu überstürzt, viele Dinge werden dem Leser ohne weitere Erklärung einfach so hingeworfen. Und so lässt mich das Buch etwas zwiegespalten zurück, denn es hatte auch seine Momente, gerade wenn es um Jeans kleine Tochter ging, die mich das als Mutter sehr mitgenommen haben und so gibt es von mir trotz viel Gemecker 3,5 von 5 Miezekatzen.