„Boy’s Life“ – Robert McCammon

“ … Uns allen ist Magie am Anfang unseres Lebens vertraut. Wir kommen voller Wirbelstürme, Waldbrände und Kometen auf die Welt. Wir werden mit der Fähigkeit geboren, mit den Vögeln zu singen und Wolken zu lesen und unsere Zukunft in Sandkörnern zu sehen. Aber dann wird uns die Magie aus der Seele wegerzogen. Sie wird uns rausgepredigt, rausgeohrfeigt, rausgewaschen und rausgekämmt. …“

Es ist 1964 in dem kleinen idyllischen Städtchen Zephyr, wo die Bewohner entweder in der Papierfabrik am Tecumseh River oder in dem örtlichen Milch­betrieb arbeiten. Es ist ein einfaches Leben, aber doch voller Wunder für den zwölfjährigen Cory Mackenson. Eines Morgens werden er und sein Vater Zeuge, wie ein Auto vor ihnen von der Straße abkommt und in einem See versinkt. Am Steuer aber befand sich ein nackter, geschundener Körper, mit Handschellen an das Lenkrad gefesselt. Mit der Zeit vergessen oder verdrängen die Bewohner des Ortes den seltsamen Vorfall, doch Cory und sein Vater wollen dem Geheimnis auf die Spur kommen. Ihre Suche führt sie in eine Welt, wo Unschuld und Bosheit aufeinanderprallen und Magie und Fantasie mit der Realität zu verschmelzen scheinen …

1964 ist Cory 12 und das Jahr hält so einiges für ihn bereit. Eine Leiche, ein neuer Mitschüler, der ein Baseball Ass ist, aber nicht spielen darf, ein Campingausflug und die Bekanntschaft einer seltsamen Lady sind nur einige Punkte auf einer langen Liste. Freude und Leid liegen eng beieinander, eines geht ohne das andere nicht. Und alles ist vergänglich, auch das muss Cory lernen …

Ich liebe Coming of Age Geschichten und Robert McCammons Schreibstil, so führte nach der Matthew Corbett Reihe natürlich kein Weg an „Boy’s Life“ vorbei. Mit fast 600 Seiten ist das Buch ein ganz schöner Klopper und da ich es auf dem Weg zur Arbeit gelesen habe, hat es mich eine ganze Weile beschäftigt, aber nicht etwa weil es langweilig war, sondern die tägliche Bahnfahrt einfach zu kurz.^^
Bereits den Einstieg ins Buch fand ich sehr berührend, wir alle erinnern uns an die magischen Momente unserer Kindheit. Magie liegt in so vielen kleinen Dingen, für die wir im Laufe der Zeit einfach das Gespür verlieren. Eigentlich hatte mich der Autor schon mit der Einleitung, in der er Cory, seinen Helden, auf sein Leben zurückblicken lässt. „Wir werden angewiesen, uns unserem Alter entsprechend zu verhalten. Endlich erwachsen zu werden …“, ja, hier musste ich ein wenig Grinsen, denn diese Rede schwingt mein Dad heute noch.
Aber zurück zu „Boy’s Life“. Allein das Buch einem Genre zuzuweisen, finde ich sehr schwierig. Na ist Mord, die Leiche, die Corys Vater im versunkenen Auto vorfindet, aber eigentlich ist das nur eine Nebengeschichte, denn es geht hier um so viel mehr. Um eine, zumindest zu Beginn, unbeschwerte Kindheit, in der man mit seinen Freunden abhängt oder durch die Gegend radelt. Doch nach und nach ziehen immer mehr dunkle Wolken auf, der Tote im See scheint eine Art böses Omen zu sein. 1964/65 tickten die Uhren natürlich anders als heute. Sein Vater fährt morgens Milch aus, er hat seine feste Strecke, seine Kunden. Doch dann wird in der Nähe ein Supermarkt gebaut, der 24 Stunden täglich die Leute anlockt, Milch rund um die Uhr ohne Glasflaschen, die ständig gereinigt werden müssen. Das Leben wird einfacher, aber das hat seinen Preis, denn viele bleiben auf der Strecke. Auch Rassismus spielt eine Rolle in dem kleinen Städtchen Zephyr, ebenso wie blinder Hass oder der  Verlust von Liebgewonnenem. All das muss Cory innerhalb von nur einem Jahr lernen, beginnend im Frühjahr, in dem die Natur erwacht bis hin zum kalten und düsteren Winter.
Ich habe Cory gleich ins Herz geschlossen, so viele Dinge haben mich an mich selbst in diesem Alter erinnert, da kam schon ein wenig Wehmut auf. Auch die Eltern sind liebenswert, sein Vater, der an der grausigen Entdeckung zu zerbrechen droht, aber keine Hilfe annehmen will und die Mutter, die alles versucht, um ihren Mann zu unterstützen, ich glaube, der Familienzusammenhalt war damals ein ganz anderer. Was wäre ein Junge ohne Freunde? Richtig, nichts und so spielen Davy Ray, Ben, Johnny und Cory eine wichtige Rolle, ein bisschen haben sie mich tatsächlich an Stephen Kings „Club der Verlierer“ aus „Es“ erinnert, nur fehlte hier die weibliche Besetzung.
Ich habe mit Cory eine Menge Abenteuer erlebt, gerätselt, gelacht, Musik gehört und seine Verluste betrauert, Robert McCammon schafft es einfach immer wieder, dass man sich als Leser fühlt, als wäre man Teil der Geschichte, hätte sie selbst erlebt und schon allein darum kann ich seine Bücher nur weiterempfehlen. Allerdings gibt es diesmal auch eine klitzekleine Sache, die mich gestört hat. Schon zu Beginn ist die Rede von Magie, das habe ich etwas anders aufgefasst, als es dann tatsächlich war. Old Moses, das Monster im Fluss und die alte Lady und ihren Mann fand ich toll, sie passten prima ins Geschehen, aber dann gibt es da noch einige andere Vorkommnisse, die ich total überflüssig fand, zumal sie eigentlich keinen Einfluss auf die Geschichte haben. Ich werde hier nicht näher darauf eingehen, ich will ja nicht spoilern, aber ja, die eine Sache fand ich ziemlich nervig, weil auf ihr immer wieder herumgeritten wurde. Wer es gelesen hat, weiß wahrscheinlich, was ich meine, meiner Meinung nach wäre das Buch auch ohne diesen fantastischen Einschlag großartig. Obwohl „Boy’s Life“ im Original bereits 1983, hat es nichts von seinem Zauber verloren und aktuell ist die Story damals wie heute. 

Wer schon ein Buch von Robert McCammon gelesen hat, weiß, dass er die Gabe hat, seine Leser vollkommen in seinen Bann zu ziehen, das ging mir bisher bei allen seinen Geschichten so und deshalb kann ich auch hier wieder nur eine unbedingte Leseempfehlung aussprechen. Lasst euch von der Dicke des Buches nicht abschrecken, sonst verpasst ihr einen wundervollen Ausflug in die Vergangenheit. 4,5 von 5 Miezekatzen, mehr gibt es dazu nicht zu sagen. 

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