„Die Herzchirurgin“ – Jack Jordan

“ … Wenn wir so dicht beieinanderhocken und unter uns sind, wird mir immer klar, wie wenig wir voneinander wissen. Wir haben so oft nebeneinander am OP-Tisch gestanden, haben Hunderten von Patienten zu einer zweiten Chance verholfen, zu leben, waren dabei, wenn andere es nicht geschafft haben, und doch im Grunde sind wir Fremde. Ich habe keine Ahnung, wer sie ist. Aber ich weiß, wozu sie fähig ist. …“ (Seite 335)

Würdest du morden, um dein Kind zu retten?
Der Mann liegt vor mir auf dem OP-Tisch. Ich sehe, wie sich sein Brustkorb hebt und senkt. Mein Skalpell, die chirurgischen Instrumente, Beatmungsschlauch – alles liegt für die Transplantation bereit. Als Herzchirurgin ist es meine Pflicht, das Leben meines Patienten zu retten. Als Mutter muss ich ihn töten.
Ich bin kein Monster, falls es das ist, was Sie gerade denken.

Als Anna von einem stressigen Tag nach Hause kommt, steht ein Möbelwagen vor ihrem Haus und in ihrem Wohnzimmer sitzen fremde Männer. Sie haben ihre Nachbarin, die auf ihren Sohn aufpasst, ermordet und Zack entführt, um die Herzchirugin zu erpressen, denn auf ihrem OP-Tisch soll schon bald ein bekannter Politiker landen und der soll den Eingriff nicht überstehen. Sein Leben gegen das Zack. Doch Anna hat einen Eid geschworen, kann sie den so einfach brechen?

Puh, „Die Herzchirurgin“ ist schwere Kost, gerade für mich als Mutter. Wie weit würde man gehen, um das Leben des eigenen Kindes zu retten? Und dann auch noch ausgerechnet als Ärztin, ein Dilemma … Eigentlich müsste mir Anna schrecklich leid tun, wird sie doch vor eine furchtbare Entscheidung gestellt. Aber so einfach macht es mir Jack Jordan nicht. Gleich zu Beginn lässt er mich einen Blick über die Schulter der Chirurgin werfen, die gerade einen Patienten verliert, ein aufwühlender Einstieg. Kurz darauf zeigt sich allerdings, dass Anna niemand ist, den man in seiner Nähe haben möchte, sie ist kalt, egoistisch, ich mochte sie von Anfang an nicht.
Doch sie ist nicht die einzige Figur im Buch, bei der es mir so ergeht, denn es gibt noch Margot, die OP-Schwester, mit der sie zusammenarbeitet. Im Gegensatz zu Anna ist diese in einer Wohnwagensiedlung großgeworden und musste sich alles im Leben erkämpfen, sympathisch macht sie das aber noch lange nicht. Und weil aller guten Dinge bekanntlich drei sind, mischt auch noch Rachel, eine Polizistin mit, die im Mordfall von Paula, Annas ermordeter Nachbarin ermittelt. Sie ahnt, was passiert ist, kämpft aber auf verlorenem Posten.
Drei vollkommen verschiedene Frauen, die von ihren ganz eigenen Dämonen verfolgt werden und gezwungen sind, Entscheidungen zu treffen, die sie in den Abgrund reißen, jede auf ihre ganz eigene Art. Genau das macht die Story so unheimlich spannend und mitreißend. Man ahnt nicht, wohin die Reise führt, wohl aber, dass es kein schöner Trip wird, denn alle drei Frauen sind verzweifelt und kämpfen nur für sich allein.
Jack Jordan widmet ihnen abwechselnd Kapitel, wobei er Anna als einzige in der Ich-Perspektive erzählen lässt, immerhin ist sie ja der Hauptcharakter. Die Ereignisse aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, steigert die Spannung ungemein und auch wenn keine der Frauen sonderlich liebenswürdig erscheint, so fiebert man doch mit ihnen mit, denn irgendwie sind sie alle mehr oder weniger schuldlos in diese Misere geraten.
Auch wenn ich manche Dinge ein wenig unglaubwürdig fand, hat mich „Die Herzchirurgin“ mitgerissen und nicht nur einmal habe ich mich gefragt, wie ich wohl reagiert hätte. Wäre ich auch so abgebrüht und eiskalt? Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung, aber die Damen haben mir teilweise wirklich Angst gemacht.

Mich hat der Klappentext angesprochen, deswegen ist das Buch in meinem Regal gelandet. So eine Achterbahn der Gefühle habe ich allerdings nicht erwartet, „Die Herzchirurgin“ hat mich mehr als nur positiv überrascht. Die fiese Story hat es wirklich in sich und bis zum Schluss wusste ich nicht, wie das ganze ausgeht. Jack Jordan hat hier drei Figuren entworfen, die man nicht unbedingt zum Freund, aber noch weniger zum Feind haben will. Jede von ihnen hat eine eigene Hintergrundgeschichte, man kauft ihnen ihre Handlungen ab und fragt sich immer wieder: Was wäre, wenn mir so etwas passiert?
Ein toller Thriller, den ich guten Gewissens weiterempfehlen kann und der 4,5 von 5 Miezekatzen verdient.

Please follow and like us:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert