„Wolfskinder“ – Vera Buck

“ … Wer in der Stadt lebt, vergisst leicht, wie dunkel eine Nacht sein kann. Dass es Nächte gibt, die Straßen fressen, indem sie Asphalt auflösen. Die alles in eine zähe, teerartige Masse verwandeln, gegen die nicht einmal ein Autoscheinwerfer ankommt. …“ (Seite 196)

In Wahrheit ist ein Wald nicht still.
Er ist voller Geräusche und aus dem Stoff, aus dem Albträume sind.
Die Wände schwarz. Der Boden schwarz.
Es riecht nach Moder, Schimmel und nassem Stein.
Mein Atem geht hektisch.
Wo ist der Ausgang?
Was für eine Ironie, dass ich dem Berg entkommen wollte.
Und jetzt stecke ich mittendrin.
Ein abgelegenes Bergdorf in den Wäldern, in denen noch Wölfe jagen.
Eine Siedlung von Einzelgängern, die sich in Schweigen hüllen.

Ein Ort, wie geschaffen als Versteck – oder als Gefängnis.

Da ich es selbst nicht besser zusammenfassen kann, hab ich mir einfach mal die Zusammenfassung von der Verlagsseite ausgeborgt.^^

Die sechzehnjährige Rebekka verschwindet spurlos. Und sie ist nicht die Einzige. In der Bergregion werden immer wieder Frauen vermisst. Die Journalistin Smilla erkennt sofort Parallelen zum Fall ihrer Freundin Juli, die vor Jahren in der Gegend verschwand. Und als ihr ein verwahrlostes Mädchen vors Auto läuft, das eine verblüffende Ähnlichkeit zu Juli hat, reißen alte Wunden wieder auf. Einige Höhenmeter weiter lebt Jesse in der Siedlung Jakobsleiter, abgeschottet von der modernen Welt. Er und die anderen Bewohner des Bergdorfes werden unten in der Stadt misstrauisch beobachtet. Während das Misstrauen gegenüber der Jakobsleiter immer weiter wächst und in brutalen Angriffen auf Jesse und weitere Kinder eskaliert, kommt Smilla einem schockierenden Geheimnis auf die Spur, das alle vermeintlichen Wahrheiten aus den Angeln hebt. Wo lauert das Böse wirklich?

Hin und wieder findet man ein Buch, das einen wirklich überrascht, „Wolfskinder“ war so ein Glücksgriff. Dabei macht es einem Vera Buck zu Beginn gar nicht so leicht, zum einen, weil die Figuren nicht wirklich vorgestellt werden, sondern man mitten ins Geschehen geworfen wird. Zum anderen, weil alle in der Ich-Perspektive erzählen. Für mich war das durchaus ungewohnt, denn normalerweise macht das nur eine Person. Hier gibt es aber keinen Hauptcharakter im eigentlichen Sinne, jeder erzählt die Ereignisse auf seine Weise und aus seiner Sicht, genau das fesselt so an diesem Buch, verleiht ihm einen ganz eigenen Touch.
Ganz egal wer zu Wort kommt, sie alle rufen ganz unterschiedliche Gefühle hervor. Der 17-jährige Jesse, der unten im Tal zu Schule geht und von seinen Mitschülern tyrannisiert wird, Rebekka, neben Jesse die einzige Schulpflichtige, die dem abgeschiedenen Leben entfliehen will oder Edith, 8 Jahre alt, ein wirklicher Wildfang, stumm und besessen vom Tod: „Man lernt viel, wenn man tote Tiere untersucht, und man lernt noch mehr, wenn man den Tieren beim Sterben zusieht.“ Das kleine Mädchen scheint verwahrlost, tut und lässt, was ihm gefällt und ist verdammt schlau. Außerdem gibt es noch Isaiah, den geistlichen Führer von Jakobsleiter, der seine ganz eigene Meinung vom technischen Fortschritt hat, denn: „Nur wer in der Vergangenheit lebt, ist für die moderne Welt unsichtbar.“ Sympathiepunkte gewinnt er bei mir von Anfang an nicht, ganz im Gegensatz zu Edith, die zwar gruselig, aber eben auch überaus faszinierend ist, mein kleines schwarzes Herzchen hat sich sofort in sie verliebt.
Und nicht zu vergessen, Smilla, deren beste Freundin vor 10 Jahren nachts auf einem Campingausflug in der Nähe von Jakobsleiter spurlos verschwunden ist, selbst nach all der Zeit ist da immer noch dieses Schuldgefühl, das an ihr frisst und Laura, die neue Lehrerin im Dorf, die versucht, sich für die Kinder vom Berg einzusetzen, die in der Schule einen schweren Stand haben.
Die Autorin beschreibt das Leben in Jakobsleiter, der abgeschiedenen Gemeinde auf dem Berg als rauh. Dort oben gelten eigene Regeln, an die man sich zu halten hat, die Bewohner gelten unten im Dorf als sonderbar, den beiden Schüler vom Berg schlägt von ihren Klassenkameraden nichts als Spott und Häme, ja, fast schon Hass, entgegen. Es ist also nicht verwunderlich, dass Rebekka von einem Leben außerhalb all der Regeln und Zwänge träumt. Dann verschwindet sie aus der Schule und Jesse macht sich auf die Suche nach ihr. Das setzt sowohl oben auf dem Berg als auch unten im Tal etwas in Gang, das sich nicht mehr aufhalten lässt.
Vera Buck hat für ihr Buch ein sehr düsteres Setting gewählt, zwei Welten, die zwar grundverschieden, aber doch irgendwie gleich sind, denn beide Gemeinschaften leben stumpf vor sich hin, dulden keine Neuerungen, sehen alles Eindringen von außen als Bedrohungen an und treffen immer wieder aufeinander. Der große Knall ist also von Anfang an vorprogrammiert und trotzdem ist die Art und Weise, wie sich die Story entwickelt fesselnd, was vor allem an den völlig unterschiedlichen Charakteren liegt, aber auch am wundervollen Schreibstil, der trotz der finsteren Stimmung äußerst poetisch ist.

„Wolfskinder“ ist ein ungewöhnlicher Thriller, das liegt sowohl am Setting, als auch an den Charakteren, aber auch die sektenähnlichen Zustände in Jakobsleiter haben ihren Anteil daran. Herausgekommen ist dabei ein tolles Buch, das man nach den ersten 30 Seiten nicht mehr aus der Hand legen möchte und mkir stolze 4,5 von 5 Miezekatzen wert ist.

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