„Holly“ – Stephen King

“ … Sobald man meint, man hätte das Schlimmste gesehen, was Menschen zu bieten haben, stellt man fest, dass man sich geirrt hat. Das Böse ist einfach grenzenlos. …“ (Seite 620)

Privatermittlerin Holly Gibney steckt in einer Lebenskrise, da erhält sie einen Anruf: »Meine Tochter Bonnie ist vor drei Wochen verschwunden, und die Polizei unternimmt nichts.« Ihre Nachforschungen führen Holly zu einer weit zurückreichenden Liste ungelöster Vermisstenfälle. Alle spielen im Umfeld eines inzwischen emeritierten Ernährungswissenschaftlers mit dem Spitznamen »Mr. Meat«. Holly hat schon gegen grausame Gegner bestanden, aber hier begegnet sie dem schlimmsten aller Ungeheuer: dem Menschen in seinem Wahn.

Als Privatermittlerin Holly von Penny Dahl beauftragt wird nach ihrer verschwundenen Tochter zu suchen, ahnt sie nicht, welche menschlichen Abgründe sich im Laufe der Ermittlungen vor ihr auftun werden. Dabei muss sie selbst noch den Tod ihrer Mutter verarbeiten, der nach all den Jahren eigentlich eine Befreiung sein sollte.

Mit Holly Gibney hatte ich bisher nur in „Mr. Mercedes“ das Vergnügen und da hat mich die nicht ganz junge Frau, die noch immer unter der Fuchtel ihrer Mutter stand, ganz schön genervt und deswegen stehen auch Band 2 und 3 der Bill Hodges Trilogie noch immer ungelesen im Regal, Hollys Entwicklung ging also komplett an mir vorbei. Schon allein deswegen hab ich eine Weile gebraucht mich dazu durchzuringen, das Buch überhaupt zu kaufen, denn auch wenn ich Stephen King seit 30 Jahren liebe, werde ich einige seiner Werke wohl nie lesen, einfach, weil sie mich thematisch nicht ansprechen. Das war hier absolut nicht der Fall, ich hole mir gern ein wenig Inspiration für mein Essen, aber dafür gab es Holly. Letztendlich ist der Wälzer doch in meinem Regal gelandet und ich habe es nicht bereut, denn auch wenn die etwas eigene Ermittlerin nie mein Lieblingscharakter wird, war das Buch doch fesselnd und, endlich mal wieder, schaurig, passend für dunkle und verregnete Leseabende. Selbst ohne wirklich blutige Szenen war der Film, der parallel zum Lesen in meinem Kopf lief, alles andere als harmlos und der erste Griff zu einem Dessert aus dem Kühlschrank kostete etwas Überwindung. Dabei geht King zu keiner Zeit ins Detail, schubst seine Leser jedoch in eine bestimmte Richtung und je mehr man darüber nachdenkt, umso unwohler fühlt man sich. Genau dieses Gefühl habe ich bei den letzten Büchern vermisst.
Aber zurück zu meinem angespannten Verhältnis zu Holly. Die hat ihr Leben inzwischen einigermaßen in den Griff gekriegt, ist zwar immer noch anstrengend, aber in Maßen und ja, ich habe mit ihr mitgefiebert und ihr die Daumen gedrückt, wenn sie nicht gerade mal wieder einen Corona-Spruch losgelassen hat. Es ist ja völlig okay, das Thema zu erwähnen, immerhin hat es uns die letzten Jahre begleitet, aber nach dem zweiten oder dritten Mal war ich es einfach leid. Haben sich in Amerika wirklich alle als erstes beim Aufeinandertreffen vorgebetet, wie oft und womit sie geimpft sind? Kann ich mir gar nicht vorstellen. Nicht nachvollziehen hingegen kann ich die Kritiken daran, dass der Autor seine persönliche politische Meinung einfließen lässt, denn genau dass hat King schon immer getan, vielleicht nicht immer ganz so konsequent wie hier, aber genau dafür mag ich ihn.
Ansonsten gibt es nichts zu bemängeln, Stephen King schreibt auf seine übliche Weise und holt dabei teilweise sehr weit aus, was einigen sauer aufstoßen dürfte. Ich für meinen Teil finde diese Art der Erzählung toll, man lernt die Figuren kennen und schlittert zusammen mit ihnen Schritt für Schritt langsam aber unaufhaltbar auf den Abgrund zu. Dass man von Anfang an weiß, wer hinter allem steckt, macht die Sache fast noch spannender und vor allem furchterregender. Doch so schrecklich die Täter auch erscheinen, so kann ich ihre Beweggründe sogar ein bisschen nachvollziehen, erschreckend, oder?
Stephen King kann immer noch schreiben, steht außer Frage, hier hat er bewiesen, dass er auch dem Horror nicht endgültig den Rücken gekehrt hat und schon allein das macht „Holly“ für mich zu einem besonderen Werk, vor allem, weil hier nicht Übernatürliches am Werke ist, sondern ganz ungeschönt gezeigt wird, was wir einander antun.
Zwei kleine Dinge noch zum Abschluss: Erstens, ich habe meinen Frieden mit Holly gemacht, sie darf beim nächsten Mal wieder bei mir anklopfen, auch wenn sie nie meine Busenfreundin werden wird, aber das muss sie auch gar nicht und zweitens, nach den vielen nicht wirklich schönen Covern von Heyne finde ich das hier wirklich schön.

Wären diese schier endlosen Corona-Erwähnungen nicht, hätte Stephen King mit „Holly“ bei mir auf ganzer Linie gepunktet und das sogar mit einem Charakter, der nicht unbedingt zu meinen Favoriten zählt, aber über eine Menge Tiefgang verfügt. Überhaupt erscheinen seine Figuren immer sehr real, hier sogar die Bösen, die scheinbar ganz normale Menschen sind, aber genau das macht sie so gruselig. Ich denke, das war nicht das letzte Mal, dass wir von Holly hören, oder besser lesen, von mir bekommt sie 4,5 von 5 Mieztekatzen.

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