„Niemalsland“ – Neil Gaiman

“ Richard hatte festgestellt, daß Ereignisse Feiglinge waren: Sie traten nicht einzeln auf, sondern in Rudeln, und stürzten alle auf einmal über ihn herein. …“ (Seite 19)

Eine Odysee durch eine geheimnisvolle Schattenwelt
Unter den Straßen Londons gibt es in verlassenen U-Bahnhöfen und Geisterzügen, Katakomben und Kanälen eine bizarre Welt zwischen Wirklichkeit und Traum – bevölkert von Ungeheuern und Heiligen, Mördern und Engeln, Rittern in eiserner Rüstung und leichenblassen Schönheiten in schwarzem Samt. Im Niemalsland erlebt der junge Londoner Geschäftsmann Richard Mayhew, was passieren kann, wenn man einem verletzten fremden Mädchen auf der Straße zu Hilfe eilt. Als er in sein altes Leben zurückkehren will, muss er feststellen, dass er dort nicht mehr existiert.

Richards Freundin Jessica hat einen wichtiges Geschäftsessen und er sollte eigentlich einen Tisch reservieren, natürlich hat er das vergessen. Als auf dem Weg zum Restaurant dann auch noch ein verletztes Mädchen auf der Straße liegt, entscheidet sich Richard, ihr zu helfen. Jessica ist stinksauer, aber er hat erstmal gar keine Zeit, dass so richtig zur Kenntnis zu nehmen, denn Door, so heißt die junge Frau, zeigt ihm eine faszinierende und gefährliche Welt direkt unter London. 

Door ist auf der Flucht vor den Killern ihrer Familie, mit letzter Kraft rettet sie sich in die Londoner Oberwelt, wo sie auf Richard trifft, der das verletzte Mädchen mit nach Hause nimmt. Kurz darauf tauchen zwei merkwürdige Kerle an seiner Tür auf, die nach ihr suchen. Richard wimmelt sie ab, um kurz darauf mitzuerleben, wie sein Gast Post von Ratten bekommt und ihn mit auf einen sonderbaren Markt nimmt. Nach seiner Rückkehr nach Hause ist nichts mehr wie vorher. Seine Wohnung wird gerade neu vermietet und seine Mitmenschen nehmen ihn nicht wahr. Und so macht er sich auf die Suche nach Door, denn mit ihr hat alles angefangen.
Bis zu seiner Begegnung mit Door verläuft in Richards Leben alles normal. Er ist mit Jessica verlobt, hat einen gewöhnlichen Job und dann ändert sich alles. Denn um Door zu finden, muss er nach Unter-London, einer Parallelwelt, die sich vollkommen von der seinen unterscheidet. Dort gibt es nicht nur die beiden jahrhundertealten Killer Mr. Croup und Mr. Vandemar, sondern auch Rattenclans, Engel und blutrünstige Monster.
Eine Welt, die neben der unseren existiert, hier unter London, ist nicht neu, aber Neil Gaiman auch hier wieder etwas ganz Eigenes daraus gemacht. Sein Unter-London ist gefährlich, besonders für den bodenständigen Richard, der von dem Ortswechsel erstmal komplett überfordert ist. Doch um in sein altes Leben zurückkehren zu können, schließt er sich Door und ihren Begleitern an und lernt dabei so einige Dinge über sich selbst, das Leben und seine neue Umgebung. Den größten Unterhaltungswert in „Niemalsland“ haben zweifellos die beiden blutrünstigen Killer, die mich mit ihren Gesprächen immer wieder zum Grinsen brachten, auch wenn man den beiden in freier Wildbahn lieber nicht begegnen möchte, denn sie beherrschen ihr Handwerk und haben keinerlei Probleme damit, ihre Opfer ausgiebig bluten zu lassen. Ja, der Ausflug in die Unterwelt hat hin und wieder auch ein paar brutalere Momente, aber gerade diese Darstellung  fand ich großartig gelungen. Leider bleibt der Protagonist im Gegensatz dazu ein wenig blass. Richard rutscht eher zufällig in die Geschichte hinein, scheint aber nie so ganz anzukommen. Ich hatte immer wieder das Gefühl, dass er eher unbeteiligt vom Spielfeldrand aus als mitten aus dem Geschehen berichtet. Schade, denn gerade das Setting macht die Story zu etwas Besonderem, vor allem, wenn man sich in London ein wenig auskennt.
Neil Gaiman ist und bleibt ein großartiger Geschichtenerzähler, aber hier fehlt es seinem Helden meiner Meinung nach ein bisschen an Tiefe und auch Unter-London hätte er ruhig etwas mehr Aufmerksamkeit schenken können. Allerdings gibt es inzwischen eine ungekürzte Ausgabe aus dem Eichborn Verlag, mein Taschenbuch ist von 2011, vielleicht erfährt man da ja mehr.

Ich muss gestehen, „Niemalsland“ war das erste Buch von Neil Gaiman, dass mich nicht sofort gefesselt hat, ich brauchte diesmal tatsächlich ein wenig Anlaufzeit. Aber dann hat mich die Geschichte doch wieder fasziniert, auch, weil sie in London spielt, das ich ja sehr liebe. Märchenhaft und ein bisschen blutig, am Ende eben doch ein typischer Gaiman, dafür gibt es von mir 4 von 5 Miezekatzen.

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