„Der bittere Trost der Lüge“ – Tiffany D. Jackson

Die Neue weint. Sie schluchzt richtig, die Tränen rollen und die Nase ist voller Rotz. Ich bin neidisch; ich habe seit sechs Jahren nicht mehr geweint. Die Tränen sind in mir festgefroren, so wie der Rest meiner Gefühle. Sie glaubt wahrscheinlich, sie hat nicxhts Falsches getan. Auch ich war mal wie sie. …“ (Seite 20)

Neunjährige Schwarze tötet weißes Baby.

Mary soll ein Baby getötet haben. Diese Tat hat ihr Leben zerstört. Jahre voller Angst vergehen, weil Kindermörder im Gefängnis einen schweren Stand haben.
Sechs Jahre später. Das Leben mit einer Fußfessel ist fast so hart wie der Knast. Marys einziger Halt ist ihr Freund Ted – und ihr ungeborenes Kind.
Damit beginnt ein neuer Albtraum. Denn niemand glaubt, dass ein Baby bei einer verurteilten Kindermörderin in guten Händen ist.
Nun hängt Marys Schicksal von der Person ab, der sie am meisten misstraut: ihrer Mutter. Deren wahres Gesicht kennt niemand. Aber wer kennt die wahre Mary?

Hart, düster und der Wirklichkeit erschreckend nah: „Orange Is the New Black“ trifft auf „Tote Mädchen lügen nicht“.

Nach Jahren im Gefängnis lebt Mary nun in einer Art Jugendheim, trägt eine elektronische Fußfessel und arbeitet in einer Pflegeeinrichtung für Senioren. Ihre Mitbewohnerinnen meiden sie, immerhin hat sie kaltblütig ein Baby umgebracht. Ihr einziger Lichtblick ist Ted, ein Kollege, von dem sie schwanger wird.
Als das rauskommt, ist sofort klar, das Baby soll zur Adoption freigegeben werden, immerhin befindet sich Mary in der Obhut des Staates und hat somit keinerlei Befugnisse.
Aber das will sie sich nicht mehr bieten lassen. Jahrelang hat sie geschwiegen, jetzt wird es Zeit, sich zu wehren, denn Mary möchte ihr Baby behalten  …

„Es gibt einfach Kinder, die böse geboren werden, das muss man ganz klar sagen. Es sind Kinder, die der Statistik nicht gerecht werden. …“ (Seite 7)
Bereits der Einstieg in Tiffany D. Jacksons Buch „Der bittere Trost der Lüge“ macht klar, dass man es als Leser mit keinem einfachen Thema zu tun bekommt. Eine neunjährige hat das ihr anvertraute Baby getötet, nicht aus Versehen, denn der kleine Körper wies beträchtliche Verletzungen auf. Die Mörderin muss ein Monster sein, so sehen sie alle, die Presse, die Richter, das gesamte Umfeld.
Und dann lernt man Mary, inzwischen 16, kennen. Sie hat die Tat nie zugegeben, jahrelang kein Wort geredet. Nach ihrem Gefängnisaufenthalt lebt sie in einem Jugendheim, die Regeln da sind streng, die Betreuer nicht sonderlich nett und auch die anderen Mädchen dort machen ihr das Leben zur Hölle. Mary ist allein, sie hat nur Ted, mit dem sie sich bei der Arbeit trifft. Mary will studieren, etwas aus ihrem Leben machen, auch wenn ihr alle immer nur Steine in den Weg legen und dann wird sie schwanger. Wohl wissend, dass sie das Baby nicht behalten darf, fühlt sie das „Böhnchen“, wie sie es liebevoll nennt, in sich wachsen und beginnt, nach Jahren des Schweigens um ihre gemeinsame Zukunft zu kämpfen. Mary hat so also so gar nichts gemein mit diesem Ungeheuer, als das sie immer dargestellt wird, doch wo sie auch hinkommt, ihr Name eilt ihr immer voraus. 
Als Leser hat man sofort Mitleid mit dem Teenager, all der Hass, der ihr entgegenschlägt, das Mobbing der Mitbewohnerinnen. Die Autorin lässt das Mädchen in der Ich-Perspektive erzählen,  das ist für mich fast so, als würde ich all diese Ungerechtigkeiten am eigenen Leib erfahren. Außerdem unterbrechen Vernehmungsprotokolle der Jahre zurückliegenden Verhandlung immer wieder die Geschichte und geben so einen genaueren Einblick in die damaligen Geschehnisse. Natürlich bleibt dabei auch nicht verborgen, dass einige Dinge nicht korrekt abgelaufen sind. 
Und dann wäre da noch Marys Mutter und das merkwürdige Verhältnis der beiden. Mary schildert sie immer wieder als labil und tatsächlich scheint sie in einer eigenen Welt zu Leben, in der es keinen Platz für ihre Tochter gibt, erst recht nicht, als diese sie um Hilfe bittet. Was für eine kaltherzige Frau muss das sein?
Die Sympathiekarten sind also von Anfang an verteilt und man hofft und bangt mit Mary, die sich einfach nur ins Leben zurück kämpfen möchte, doch ihre Aussichten sind eher düster, so wie die Stimmung des Buches. Ich war schockiert, habe mitgelitten, die Daumen gedrückt, gehofft und war entsetzt darüber, wie mit einem kleinen Kind umgegangen wurde.
Dann kam das Ende und das hat mich total unzufrieden zurückgelassen. Warum? Natürlich wird aufgeklärt, was damals wirklich geschehen ist, aber im Laufe der Geschichte sind so viele Punkte aufgetaucht, auf die nicht nochmal eingegangen wird und das der Fantasie der Leser zu überlassen, hat mir persönlich überhaupt nicht gefallen.
„Der bittere Trost der Lüge“ ist in der All Age Reihe bei Festa erschienen, genau da gehört das Buch auch hin. 

„Der bittere Trost der Lüge“ ist eine wahre Berg-und-Tal-Fahrt der Gefühle, ein Buch, das zeigt, wie die Justiz bei einem kleinen, schwarzen Mädchen versagt hat. Wäre alles anders gelaufen, wenn das Baby schwarz und Mary weiß gewesen wäre? Eine Frage, die natürlich nicht beantwortet wird, aber zum Nachdenken anregt.
Eine Geschichte, die noch lange nachhallt und würde ich nicht so mit dem Ende hadern, wäre durchaus noch ein halben Pünktchen mehr dringewesen. So vergebe ich 4 von 5 Miezekatzen und kann nur sagen: Unbedingt lesen.

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