“ … »Du hast sie nicht gesehen, Michael. Sie hat nicht mit einer Fantasiefreundin geredet. Da war etwas, ich konnte es spüren.« Ich holte tief Atem. »Und es hat mir Angst gemacht, Michael.« … “ (Seite 52)
Hüte dich vor Helen …
Als ihre Mutter wieder heiratet, versuchen Molly und ihr Bruder Michael, sich mit ihrer neuen Stiefschwester Heather anzufreunden. Die macht aber immer nur Ärger. Heather lügt und benimmt sich daneben, und irgendwie bekommen die beiden immer die Schuld.
Das Verhalten von Heather wird noch seltsamer, als sie immer öfter auf dem Friedhof hinter dem Haus spielt. Sie sagt, sie könne mit dem Mädchen Helen sprechen, die vor über 100 Jahren bei einem mysteriösen Feuer ums Leben kam.
Michael glaubt nicht an Geister. Aber Molly ist sich da nicht so sicher, vor allem als Heather droht, dass Helen kommt und sie holen wird …
Als Molly mit ihrer Familie ins neue Heim umzieht, wird das Zusammenleben mit der kleinen Stiefschwester Heather noch unerträglicher. Ständig bekommen sie und ihr Bruder Michael die Schuld für die Missetaten der 7-jährigen, die immer wieder versucht, die Beziehung zwischen ihrem Vater und Mollys Mutter zu zerstören und dabei sehr kreativ vorgeht. Der Friedhof hinterm Haus wirkt eine seltsame Anziehungskraft auf sie auch und schließlich findet sie ausgerechnet dort eine neue Freundin.
Patchworkfamilien sind so eine Sache, nicht immer herrscht da eitel Sonnenschein. So ist es auch bei dem 10-jährigen Michael und der 12-jährigen Molly. Ihre kleine Stiefschwester Heather hat ein Problem damit, dass sich im Leben ihres Vaters Dave nun nicht mehr alles um sie dreht und so lässt sie keine Gelegenheit aus, die Geschwister in einem schlechten Licht dastehen zu lassen, wohl wissend, dass ihr Vater ihr immer zur Seite steht.
Als die Eltern eine alte umgebaute Kirche kaufen, müssen die Kinder ihre Freunde verlassen und sind nun auf sich selbst gestellt, denn ihr neues Heim ist sehr abgelegen. Zum Grundstück gehört außerdem ein alter Friedhof, zu dem es Heather immer wieder zieht und schon bald verbringt sie sehr viel Zeit dort. Gleichzeitig kommt es im Haus zu seltsamen Ereignissen. Zimmer werden verwüstet und Heather behauptet, dass wäre ihre Freundin Helen gewesen, die auf dem Friedhof wohnt und ihre Familie nicht mag. Anfangs nehmen die Geschwister ihre Stiefschwester nicht ernst, doch deren Verhalten wird immer merkwürdiger und Molly sieht sie immer wieder an abgelegenen Orten, wo sie scheinbar zu jemandem spricht, aber es ist niemand da.
Wer mit den „Gänsehaut“ oder „Fear Street“ Büchern großgeworden ist, für den ist „Meine Freundin Helen“ wie eine Reise zurück in die Kindheit. Mary Downing Hahn schafft es, auch ohne Ekel, Brutalität oder Blutvergießen eine stimmungsvolle Horrorstimmung zu erzeugen, die für Gänsehautmomente sorgt. Das Buch ist also für jugendliche Leser geeignet, weiß aber auch mich als erwachsenen Leser zu fesseln.
Molly erzählt die Geschichte aus ihrer Sichtweise. Dabei geht es nicht nur um den manipulativen Geist der vor 100 Jahren gestorbenen Helen, der Heather erfolgreich immer weiter von den Anderen abschottet, sondern auch um die Schwierigkeiten innerhalb des neuen Familiengefüges, denn gerade die sorgen ja dafür, dass dies so einfach möglich ist. Ja, Heather mag ein ziemlich nerviges unverschämtes Gör sein, ich für meinen Teil fand sie von Anfang an einfach unausstehlich und habe sie gleich in eine Schublade gepackt. Sie lügt, spielt alle gegeneinander aus und ist permanent unzufrieden. Tief drinnen ist sie aber eben auch nur ein kleines Kind, das sich nach Liebe und Unterstützung sehnt. Genau die bekommt sie schließlich, nur von der vollkommen falschen Seite.
„Meine Freundin Helen“ als bloße Geistergeschichte abzutun, ist zu einfach, denn gerade die psychologische Komponente nimmt hier einen großen Spielraum ein, was es mir sehr leicht machte, komplett in die Geschichte einzutauchen, eben weil ich einige der dort angesprochenen Probleme selbst kenne. Und Hand aufs Herz, wie oft verurteilen wir unsere Mitmenschen ohne uns auch nur ein einziges Mal in ihre Lage versetzt zu haben?
Obwohl „Meine Freundin Helen“ sich eher an ein jugendliches Publikum richtet, heißt das keinesfalls, dass man nicht auch als Erwachsener hier noch etwas lernen kann. Das Buch erzählt eine vollkommen blut- und gewaltfreie Geschichte, die trotzdem zu fesseln weiß, für Gänsehaut sorgt und uns ganz nebenbei zeigt, dass wir, anstatt Andere zu verurteilen, auch mal einen Blick über unseren Tellerrand hinaus werfen müssen. Für diesen Ratschlag und die Schauermomente gibt es von mir 4 von 5 Miezekatzen.