„Rauhnächte“ – Ulrike Gerold, Wolfram Hänel

“ … Sie dürfen das tun. Es war schon immer so. Jedenfalls in diesen Nächten. Und wenn sie dich kriegen, dürfen sie mit dir machen, was sie wollen. Die Männer. Die Jungen. Deine Freunde aus der Schule. Die Nachbarn. Hinter ihren Masken sind sie nicht zu erkennen. … “ (Seite 11

Du musst rennen. Du musst schneller sein als sie. Schneller und schlauer.
Hochspannend und dramatisch: Der neue Standalone-Thriller des Autorenduos Ulrike Gerold und Wolfram Hänel.
Junge Frauen verschwinden. In diesen magischen Nächten zwischen den Jahren. Nach zwölf Tagen kehren sie zurück, verwirrt und verstört. Zwei von ihnen haben  es nicht mehr ausgehalten, sie gingen freiwillig in den Tod. Andere sind aus dem Tal weggezogen und nie wieder zurückgekehrt. Die wenigen, die geblieben sind, schweigen. Als Lisa an Weihnachten zu ihren Großeltern ins Tal fährt, ist wieder ein Mädchen verschwunden. Warum spricht niemand darüber?Ein verstörender Thriller für die beste Lesezeit des Jahres. 

Oberalmdorf ist ein abgelegenes Fleckchen Erde. Hier kennt jeder jeden und alte Traditionen werden gepflegt.  So verkleiden sich die Männer während der Rauhnächte als Perchten. Immer wieder sind in dieser Zeit junge Frauen verschwunden und später vollkommen verstört wieder aufgetaucht. Diesmal hat es jedoch ein erst 16-jähriges Mädchen getroffen, wie Lisa erfährt, als sie nach Jahren in ihr Heimatdorf zurückkehrt. Eigentlich will sie hier für die Uni Nachforschungen über die Perchtermasken anstellen und hofft auf Hilfe des Vaters ihres Exfreundes, der diese Masken schnitzt. Doch der verschwundene Teenager und der tödliche Unfall eines Touristen lassen ihr keine Ruhe.

Als Rauhnächte bezeichnet man die 12 Tage zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag. Da das Sonnenjahr bekanntlich 365 Tage hat, das Mondjahr aber nur 354, nennt man diese Zeit, in der vermehrt Dämonen ihr Unwesen treiben, auch zwischen den Jahren und es gibt spezielle Regeln und Rituale wie den Perchtenlauf.
Der eine oder andere von euch weiß ja inzwischen, dass ich Bücher, die sich um die Rauhnächte und Krampus drehen liebe und mir immer für die Weihnachtszeit aufhebe. So habe ich natürlich auch letztes Jahr um Weihnachten herum wieder diesem Thema gewidmet,  bin allerdiings beim Schreiben ein bisschen hinterher und so gibt es die Rezis zur Winterliteratur halt im Frühling, hat auch was. Und wer weiß, vielleicht findet ja jemand Lesestoff für den Winter. Aber zurück zum Buch.
Lisa kommt aus dem kleinen Örtchen Niederalmdorf, lebt aber inzwischen in München und lehrt an der Uni, ihr Fachgebiet sind Mystik und Brauchtum der Alpen. Ihre Recherche zum Thema Perchtenmasken führt sie zurück in die alte Heimt, wo nur noch ihre Großeltern leben, zu denen sie seit ihrem Weggang kein besonders inniges Verhältnis hat. Obwohl sie bei ihnen unterkommt, wird sie recht kühl empfangen und erfährt, dass ein Mädchen verschwunden ist, mal wieder. Diesmal ist es die 16-jährige Tochter des Wirtes, so wirklich Sorgen zu machen scheint sich aber niemand, denn immerhin sind Rauhnächte und da sollten sich Frauen abends besser nicht draußen rumtreiben, das weiß hier schließlich jeder. Als es dann auch noch zu einem tödlichen Unfall kommt, bei dem ein Tourist vom Horn einer Perchtenmaske aufgespießt wird, fühlt sich Lisa wieder genauso unwohl wie in ihrer Jugend. Damals ist sie weggerannt, hat so viel Abstand wie möglich zwischen sich und ihren Heimatort gebracht. Jetzt will sie bleiben und herausfinden, was hier in den Rauhnächten vor sich geht. Dabei bekommt sie Unterstützung von unerwarteter Seite, denn der Ermittler, den die Polizei nach Niederalmdorf geschickt hat, ist für sie kein Unbekannter.
Ein kleines abgelegenes Dorf, Winter, die Berge, was so beschaulich klingt, erweist sich schnell als düstere Geschichte, die mich von Anfang an gepackt hat. Nicht erst seit Stephen King weiß man ja, dass es gerade in kleinen Ortschaften alles andere als friedlich zugeht und die Einwohner nicht selten Dreck am Stecken haben. Auch hier wird viel unter den Teppich gekehrt um den guten Schein zu wahren, erschreckend viel, wie Lisa schon bald feststellen muss. Und so wird das Wiedersehen mit alten Freunden und der verflossenen Liebe für sie schnell zu einem Trip in die Vergangenheit und reißt alte schmerzhafte Wunden auf.
Erzählt wird die Geschichte auf zwei Ebenen. Zum einen ist da natürlich Lisa, die herausfindet, dass auch ihre Familie eine wichtige Rolle bei den Geschehnissen im Dorf spielt, zum anderen ist da noch eine unbekannte Frau, die entführt wurde und zwischendurch zu Wort kommt, ihre Passagen sind sehr kurz und kursiv gedruckt.
Mit Lisa haben Ulrike Gerold und Wolfram Hänel  eine sehr sympathische Protagonistin erschaffen, die ihre Faszination für die  Gebräuche der Alpen zu teilen scheint, denn neben „Rauhnächte“ hat sich das Autorenduo auch der „Fastenzeit“ und der „Wallfahrt“ gewidmet, auf die beiden Bücher muss ich jetzt auch ein Auge werfen, denn rein thematisch entsprechen sie ganz meinem „Beuteschema“. Aber auch die anderen Figuren wissen zu überzeugen, allem voran Moni, Lisas undurchsichtige Jugendfreundin und ihre Großeltern, die so gar nicht dem Bild eines freundlichen alten Ehepaares entsprechen und stupide und vollkommen überzeugt an längst überholten veralteten Regeln festhalten, egal, was das kostet. Altersstarrsinn? Blinder Gehorsam? Angst? Auf solche Verwandte kann man auf jeden Fall gut und gerne verzichten.
Und dann ist da noch Max, den die Salzburger Polizei nach Oberalmdorf geschickt hat. Er hat es mir etwas schwer gemacht, ihn zu mögen, denn sein Verhalten als Ermittler ist, nun ja, sagen wir mal nicht unbedingt gut durchdacht. Während ich bei Lisa verstehe, dass sie ab und an ein wenig neben der Spur ist und nicht ganz nachvollziehbar handelt, ist das bei einem Polizisten schon etwas unglaubwürdig. Darüber kann ich aber hinwegsehen, wenn mich der Rest überzeugt. 

„Rauhnächte“ ist eine interessante Verknüpfung von Mythos, Brauchtum und Verbrechen, für mich die perfekte Literatur für die dunklen Tage zwischen den Jahren und mirt 4 von 5 Miezekatzen wert. Hier geht es relativ unblutig zur Sache, der Thriller weiß dafür mit einer durchgehend düsteren Atmosphäre und einem Ort zu fesseln, an dem die Zeit stillgestanden zu sein scheint. Wer also mehr auf unterschwelligen Grusel als auf die Holzhammer-Methode steht, sollte hier mal einen Blick riskieren. Aber wartet damit bis zum Winter, wenn es draußen kalt und dunkel ist. 

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