„Alles, was wir geben mussten“ – Kazuo Ishiguro

“ … Aber in Wahrheit, glaube ich, waren schon seit einer ganzen Weile starke Strömungen am Werk, die uns voneinander forttrieben, und es hatte nur noch eines letzten Windstoßes gebraucht, um uns voneinander zu trennen. Hätten wir das damals schon begriffen – wer weiß? -, vielleicht hätten wir einander nicht so leicht losgelassen. …“ (Seite 246)

Ein großer Sportplatz, freundliche Klassenzimmer und getrennte Schlafsäle für Jungen und Mädchen – auf den ersten Blick scheint Hailsham ein ganz gewöhnliches englisches Internat zu sein. Aber die Lehrer, so engagiert und freundlich sie auch sind, heißen hier Aufseher, und sie lassen die Kinder früh spüren, dass sie für eine besondere Zukunft ausersehen sind. Dieses Gefühl hält Kathy, Ruth und Tommy durch alle Stürme der Pubertät und Verwirrungen der Liebe zusammen – bis es an der Zeit ist, ihrer wahren Bestimmung zu folgen.

Hailsham ist einem Internat, das besonderen Wert auf die Gesundheit der Schüler legt, auch die kreativen Künste werden gefördert. Doch die Kinder dort sind nicht wie andere, ihr Lebensweg ist vorherbestimmt. Sie alle haben eine Aufgabe zu erfüllen, mit diesem Wissen wachsen sie auf und werden mit 18 in die Welt entlassen. Auch der eigenbrödlerische Tommy, der immer wieder zum Mobbingopfer wird, lebt dort, ebenso wie Ruth und Kathy. Und während Kathy für Tommy schwärmt, ist es schließlich ihre Freundin Ruth, die die Frau an seiner Seite wird. … 

Eigentlich bin ich ja nicht der Typ für Herz-Schmerz-Geschichten, aber die Verfilmung von „Alles, was wir geben mussten“ hat mich vor einigen Jahren sehr berührt. Vor ein paar Wochen habe ich mir nun endlich das Buch zugelegt und nun auch gelesen.
Doch so richtig warmgeworden bin ich mit Kathy, Tommy und Ruth nicht. Bei Ruth sicherlich nachvollziehbar, sie ist ein sehr eigenwilliger Charakter, zur Feindin möchte man sie nicht haben. Kathy hingegen ist fürsorglich und trotzdem kann ich mich auch mit ihr nicht anfreunden. Auch die Art und Weise auf die Kazuo Ishiguro sie ihre Geschichte erzählen lässt, finde ich persönlich sehr anstrengend. Permanent springt sie in der Zeit hin und her, berichtet über etwas, muss dafür ausholen und in die Vergangenheit zurückgehen. Rückblicke sind etwas tolles, hier ist mir das Ganze aber dann doch etwas zu viel. Außerdem wirkt Kathy vollkommen gefühllos, fast wie ein Roboter, Mitleid mit ihr zu haben, fällt da wirklich schwer.
Dabei beginnt das Buch vielversprechend mit der Kindheit der drei Protagonisten und es wird recht schnell klar, welche Rolle ihnen zugedacht ist. Sie sind Klone, nur dafür geschaffen, als Erwachsene ihre Organe zu spenden. Dieses Wissen im Hinterkopf macht manche Situationen schwer zu ertragen, aber was soll man von  Ersatzteilspendern halten, deren höchste Priorität es ist, so viele Entnahmen wie möglich zu überleben? Warum zum Teufel begehrt keiner gegen sein vorherbestimmtes Schicksal auf? Alle wissen, was sie erwartet, doch niemanden kümmert es wirklich, stattdessen lassen sie sich wie die Lämmer zur Schlachtbank führen. Selbst die Lehrer im Internat scheinen diese Umstände mehr mitzunehmen als die Betroffenen und lediglich Kathys Berufswunsch ist wie ein klitzekleines Aufbegehren. Denn für sie alle gibt es nur einen Job neben dem Spenden und auch das wird klaglos  akzeptiert.
Ishiguro setzt sich in seinem Buch mit einem sehr wichtigen Thema auseinander. Wie weit dürfen wir gehen? Dürfen wir Leben erschaffen, um das unsere angenehmer zu gestalten? Sind Klone Menschen wie du und ich? Haben sie eine Seele? Oder sind sie nur eine Hülle für wichtige Materialien?
Leider gehen all diese Fragen für mich etwas unter und mir fehlt ein wenig Hintergrundinformation, denn „Alles, was wir geben mussten“ spielt nicht etwa in ferner Zukunft oder einer anderen Welt, nein, es spielt vor unserer Haustür, in unserer Zeit. Doch wie und warum kam es dazu? Gerade das interessiert mich als Leser doch brennend.
Lange Rede, kurzer Sinn, ich habe etwas mehr erwartet, mehr Story, mehr Aufklärung, mehr Aufbegehren. Dennoch habe ich mir nach dem Lesen eine Menge Gedanken zu diesem Buch gemacht, irgendwie sind wir ja bereits auf dem besten Weg dorthin und das ist ziemlich erschreckend.

„Alles, was wir geben mussten“ in eine Schublade zu stecken, ist verdammt schwer. Einerseits ist es eine Dystopie, aber es gibt keinen Aufstand, keine Kämpfe, niemand lehnt sich auf. Andererseits ist es ein Drama, das unter die Haut geht, auch wenn ich weder zu Kathy, noch zu Ruth oder Tommy wirklich eine Beziehung aufbauen konnte, das war im Film anders. Allerdings ist es schon lange her, dass ich den gesehen habe, vielleicht sollte ich ihn mir jetzt, nachdem ich das Buch gelesen habe, noch einmal ansehen. Kazuo Ishiguro hat sich einem wichtigen Thema gewidmet, die Story finde ich  wirklich gelungen, allem haftet ein hoffnungsloser, düsterer Unterton an, trotzdem hält sich mein Mitleid für das Trio in Grenzen, darum gibt es von mir 3,5 von 5 Miezekatzen.

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