„American Gods“ – Neil Gaiman

“ … und das Schlimmste daran ist, dass wir alles schon einmal gehört haben und nicht zulassen dürfen, dass wir allzu sehr mitfühlen. Wir errichten eine Schale um das Schlimme herum, und wie eine Auster, die sich der schmerzhaften Steinkörnchen erwehrt, kleiden wir sie mit einer glatten Perlmuttschicht aus, um es irgendwie zu verkraften. Auf diese Weise gehen und reden und funktionieren wir, tagein, tagaus, gefeit gegen den Schmerz anderer Leute. Würden wir ihn an uns heranlassen, würde er uns lähmen … “ (Seite 364)

Als Shadow aus dem Gefängnis entlassen wird, ist nichts mehr wie zuvor. Seine Frau wurde getötet, und ein mysteriöser Fremder bietet ihm einen Job an. Er nennt sich Mr. Wednesday und weiß ungewöhnlich viel über Shadow. Er behauptet, ein Sturm ziehe auf, eine gewaltige Schlacht um die Seele Amerikas. Eine Schlacht, in der Shadow eine wichtige Rolle spielen wird …

Als Shadow Moon aus dem Gefängnis entlassen wird, lösen sich all seine Zukunftspläne in Luft auf. Seine Frau Laura und sein bester Freund hatten einen tödlichen Autounfall, außerdem hatten sie eine Affäre. Und so nimmt Shadow notgedrungen den Job bei Mr. Wednesday an, jenem seltsamen Kerl, den er auf seinem Heimflug getroffen hat. Wednesday redet gern und viel, am liebsten über einen bevorstehenden Krieg, nur nicht über sich selbst und schon bald ist Shadow klar, dass der Alte in Schwierigkeiten steckt.  
Und dann taucht Laura auf, eindeutig tot, aber eben doch irgendwie am Leben …

„American Gods“ stand schon ewig auf meiner Leseliste und nachdem die Serie recht unbefriedigend nach der dritten Staffel endet, blieb mir natürlich nichts anderes übrig als endlich zum Buch zu greifen, manchmal braucht man halt einen kleinen Schubs in die richtige Richtung. Dennoch habe ich sehr lange zum Lesen gebraucht, was nicht an der Geschichte an sich lag, aber zwischendurch musste ich immer mal etwas anderes lesen und so hat mich Neil Gaiman fast durch einen kompletten Monat begleitet, eigentlich sehr untypisch für mich. Das heißt aber keineswegs, dass mich das Buch, das sich teilweise doch sehr von der Serienumsetzung unterscheidet, nicht gefesselt hat. Amerika als Einwanderungsland bietet dafür den perfekten Hintergrund, denn schon seit Jahrzehnten kommen dort immer wieder Menschen aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt an, nicht immer ganz freiwillig. Sie bringen Teile ihrer Kulturen mit, ihren Glauben, ihre Götter. Doch für die ist heute kein Platz mehr, wer will schon Opfer erbringen, wenn er sich mit seiner Kreditkarte fast alles kaufen und den ganzen Tag vor der Glotze abhängen kann? Natürlich glauben die Menschen immer noch, nur eben an andere Dinge wie die Macht des Geldes. Der Fortschritt hat neue Götter hervorgebracht und die alten müssen sich mit unschönen Jobs herumschlagen, um über die Runden zu kommen. Ja, früher war alles besser.^^
Was ich persönlich an Neil Gaiman mag, ist, dass er einen ohne Erklärung immer mitten in die Geschichte wirft. Das hat natürlich Vor- und Nachteile. Bei „American Gods“gibt es einen entscheidenden Nachteil: Hat man keine Ahnung von der Götterwelt, ist man aufgeschmissen, denn auf Erklärungen hofft man vergebens. Man muss selbst nachdenken und Schlüsse ziehen, das mag nicht unbedingt jedem liegen, hat man sich aber erstmal daran gewöhnt, bekommt man eine großartige Geschichte erzählt, deren Charaktere auf ganz unterschiedliche Arten unter die Haut gehen. Neil Gaimans Figuren sind nicht nur Statisten, sie haben einen Hintergrund und schaffen es immer wieder, einen zu überraschen. Bei manchen weiß ich allerdings immer noch nicht, was ich von ihnen halten soll, Laura ist so ein Beispiel.
Ab und an brauchte ich tatsächlich etwas Abstand, so hab ich immer mal wieder pausiert und ein anderes Buch gelesen, bevor ich mich zusammen mit Shadow wieder auf die anstrengende Reise durch Zeiten und Mythen gemacht habe. „American Gods“ ist Gesellschaftskritik pur, allerdings wird mir die nicht mit dem Holzhammer eingebläut, sondern hält mich in einer Mischung aus surrealistischem Roadtrip, bildgewaltiger Heldengeschichte und überspitztem Comic gefangen, wirklich beschreiben lässt sich das Ganze einfach nicht. Mal berührend, mal brutal, das Buch hat viele Facetten, ganz so wie seine Charaktere.

Hat man es geschafft, sich in die Geschichte hineinzufinden, entwickelt „American Gods“ einen nahezu unheimlichen Sog. Ich kann allerdings auch nachvollziehen, dass es manch einem einfach zu anstrengend, zu fordernd ist. Man liebt oder hasst es, ich glaube, einen goldenen Mittelweg gibt es hier nicht und wahrscheinlich ist das gut so. Ich persönlich liebe die Welten, die Neil Gaiman erschafft und auch seine Figuren, die sich nur selten einer Seite zuordnen lassen. Was ist gut, was ist böse? Am Ende entscheiden wir das ganz allein. Und bevor ich noch weiter abdrifte, fasse ich mich jetzt ganz kurz: 4,5 von 5 Miezekatzen und eine Leseempfehlung für alle Fantasy-Fans, die nicht alles auf dem Silbertablett serviert bekommen wollen.

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