„Die zehntausend Türen“ – Alix E. Harrow

“ … Lass dir das eine Lehre sein: Wenn du zu lange brav und still bist, wird es dich etwas kosten. Letztendlich kostet es einen immer etwas. …“
(Seite 189)

In einem weitläufigen Herrenhaus voller sonderbarer Schätze ist January selbst eine Kuriosität. Als Mündel des reichen Mr. Locke fühlt sie sich kaum anders als die Artefakte, die die Hallen schmücken: sorgfältig gepflegt, weitgehend ignoriert und völlig fehl am Platz.
Dann findet sie ein seltsames Buch. Ein Buch, das den Duft anderer Welten verströmt und von Geheimtüren, von Liebe, Abenteuern und Gefahr erzählt. Jedes Umblättern enthüllt weitere unglaubliche Wahrheiten.
Und langsam wird January bewusst, dass sie selbst mehr und mehr mit der Geschichte verkettet wird.

Januarys Vater Julian arbeitet für Mr. Locke und da er ständig unterwegs ist, hat er sie seinem reichen Arbeitgeber anvertraut. Im riesigen Haus des Kuriositätensammlers fühlt sich das Mädchen zu Hause, auch wenn sie kaum Kontakt zu anderen Kindern hat. Denn January ist anders und das liegt nicht nur an ihrer seltsamen Hautfarbe. Schon als Kind ist sie über eine seltsame Tür gestolpert und nachdem ihr Vater auf einer seiner Reisen spurlos verschwindet, findet sie ein Buch mit dem Titel „Die zehntausend Türen“, das von Reisen in fremde Welten berichtet, man muss nur eine passende Tür finden. Doch das ist längst nicht alles, was January erfährt …

„Die zehntausend Türen“ hab ich gleich nach Erscheinen gekauft, der Klappentext hat mich neugierig gemacht. Dann hat das Buch allerdings erstmal das Schicksal vieler Bücher geteilt, es ist ins Regal gewandert und geriet in Vergessenheit, bis ich es für meine „22 für 2022“ Leseliste wiederentdeckt habe. Nach fast 1,5 verSUBten Jahren war es dann endlich fällig und ich hab mich mal wieder gefragt, warum ich es nicht viel eher gelesen habe.
Gut, es brauchte ein wenig Zeit, bis es in die Gänge kam, aber dann hat es mich gefesselt.
Zum einen, weil ich January mochte, schon allein, weil sie aufgrund ihres Aussehens eine Außenseiterin ist. Zu Beginn noch unantastbar, weil sie unter dem Schutz von Mr. Locke steht, gerät ihr Leben im Laufe der Zeit immer mehr aus den Fugen und sie erkennt, dass ihr als Frau sehr wenige Möglichkeiten bleiben, sich selbst zu verwirklichen. Zum Glück hat sie ihr Jane an ihrer Seite, das Kindermädchen scheint als Einzige davon überzeugt zu sein, dass ihr Vater noch lebt.
Jane ist, ähnlich wie January, eine Außenseiterin, eine Getriebene. Doch vor allem ist sie eine Kämpferin und lässt sich nichts sagen, wie ihren Schützling habe ich auch sie sofort in mein Herz geschlossen.
Alix E. Harrows Erstlingswerk scheint auf den ersten Blick nur ein Jugendbuch zu sein, ein Mädchen auf der Suche nach sich selbst. Gleichzeitig ist es aber so viel mehr, es geht im Liebe und Sehnsucht, darum, füreinander einzustehen und niemals aufzugeben, keine Angst vor neuen, fremden Dingen zu haben, um Aufopferung, Vertrauen … Und eigentlich erzählt „Die zehntausend Türen“ sogar zwei Geschichten, die von January und die, über die sie in jenem Buch liest.
Beide werden von der Autorin sehr bildhaft und poetisch erzählt, ich habe mich teilweise wirklich gefühlt, als würde ich selbst durch die Gassen fremder Länder schlendern, als würde mich das Meer rufen, mich die Sehnsucht nach der Ferne packen.

Auch wenn es der Klappentext nicht unbedingt vermuten lässt, ist „Die zehntausend Türen“  eine Fantasygeschichte, eine wunderbar erzählte noch dazu. Und sie wird vor allem von starken Frauen getragen. Wer sich daran nicht stört, den erwartet ein tolles Buch mit tiefgründig ausgearbeiteten Charakteren, die einem ans Herz wachsen und mit denen man bis zum Ende mitfiebert. Das ist mir 4 von 5 Miezekatzen wert.

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