“ … Also mittendrin der Mensach, der an allem zu verzweifeln scheint, der sich Wahnsinn kauft, der durchdreht wegen Liebe, Arbeit, Freizeit, Freiheit und allgemeinen Zwängen.
Mensch, mach dein lautes Leben leiser! … „
„Guten Tag, die Welt liegt in Trümmern. Ich sammle sie auf. Errichte daraus neue Gebäude. Konstruiere neue Städte. Kann man wohnen drin. Oder weiträumig umfahren.“ So begrüßt einen dieses Stück Literatur, bevor es einen hinabreißt in die Abgründe einer Welt, die in uns etwas zum Klingen bringt, denn sie ist uns sehr vertraut. Es ist unsere Welt! Wenn man Bernemanns Buch liest, kommt es einem vor, als hätte man uns endlich die rosa Brille abgenommen, ja vom Kopf geprügelt. In einer poetischen Klarheit zelebriert er ein Massaker des Leben, dass fasziniert, um gleichzeitig abzustoßen.
Ein Junkie, der seine Frau totprügelt, der Blick in den Kopf eines Polizisten, ein Mann, der die besten Jahre hinter sich hat und seiner Ex-Frau die Schuld für seine gescheiterte Existenz gibt oder ein Straßenbahnfahrer, dem eine Frau vor die Bahn springt, sie alle vegetieren auf der Schattenseite des Lebens vor sich hin und sie sind bei weitem nicht die Einzigen, auf die der Leser in „Ich hab die Unschuld kotzen sehen“ trifft.
Dieses Buch wollte ich schon so lange lesen, jetzt bin ich durch und was soll ich sagen? Nun ja, meins war es nicht. Dabei fand ich den Aufbau, also die lose miteinander verknüpften Kurzgeschichten, an sich super, hatte aber mit dem durchgehend vulgären Schreibstil und der Ich-Perspektive so meine Probleme. Und damit, dass wirklich jeder in „Ich hab die Unschuld kotzen sehen“ eine absolut gescheiterte Existenz ist, für die es keinerlei Hoffnung mehr gibt, nur ein weiteres Dahinvegetieren in einem sinnlosen Leben. An sich stört mich das nicht, wenn aber durch die Bank weg jeder so drauf ist, hält sich mein Mitleid in Grenzen. Das mag jetzt komisch klingen, ist aber so. Natürlich ist unsere Welt kein Ponyhof, aber was hier zu Beginn noch wie ein Faustschlag in den Magen ist, wird, selbst auf so wenigen Seiten, zur Gewohnheit, langweilig, überrascht nicht mehr, sondern härtet eher ab. Ja, man wird mit der Gefühlskälte dieser Welt konfrontiert, mit Elend, Gewalt, damit, was Handlungen für Auswirkungen haben können. Trotzdem hat mich das alles nicht gepackt, zumindest nicht genug, um mir die anderen Bände noch anzutun. Noch weniger anfangen konnte ich übrigens mit den lyrischen Ergüssen zwischendurch.
Eine Zuordnung zu einem Genre finde ich hier übrigens sehr schwierig, ich hab es einfach mal in Anthologien gepackt, da das Buch ja aus mehr oder weniger zusammenhängenden Kurzgeschichten besteht. Verrückt finde ich allerdings, dass das Buch bei Amazon unter Wohlfühl-Bücher gerankt ist. WTF? Ehrlich? Also nichts gegen Sarkasmus oder schwarzen Humor, aber das ist schon verdammt morbide.
Eigentlich klang „Ich hab die Unschuld kotzen sehen“ ganz nach einem Buch nach meinem Geschmack, kein Mainstream, halt anders. Warm geworden bin ich damit aber leider nicht. Der Schreibstil hat dafür gesorgt, dass ich mich von Kurzgeschichte zu Kurzgeschichte durchkämpfen musste, die Protagonisten waren mir zu überspitzt, mit keinem von ihnen hab ich mich verbunden gefühlt. Für mich eine Enttäuschung, mehr als 2,5 von 5 Miezekatzen sind nicht drin.