„Die Anstalt für ungezogene viktorianische Mädchen“ – Emilie Autumn

“ … Jetzt sind Hunderte Insassinnen durch ihre Verbrechertätowierungen leicht zu identifizieren, sodass sich niemals wieder jemand die Mühe machen muss, sich unsere echten Namen zu merken.
Menschen haben Namen, wir sind keine Menschen.
Wir sind Körper. Nummerierte Teile. Nichts weiter. …“
(Seite 261)

Die Überdosis war kein Versehen. Emilie wollte sterben.
Gerettet, aber in der Hölle einer Psychiatrie gelandet, gibt es kein Entkommen. Ihr wird jede Kommunikation mit der Außenwelt verweigert.
Plötzlich findet Emilie die Briefe einer gewissen Emily – mit y –, die im viktorianischen England in eine Irrenanstalt eingewiesen wurde.
Emilie verliert sich immer mehr in den Nachrichten aus der Vergangenheit. Die Grenze zwischen Wirklichkeit und Wahnsinn verschwimmt Brief für Brief.
Über die Zeit hinweg müssen die beiden Frauen gegen einen gemeinsamen Feind kämpfen: ihre Ärzte.

Überzeugend und mit einem Hauch Fantastik schildert Gothic-Ausnahmekünstlerin Emilie Autumn ihre eigenen Erlebnisse.
Eine vernichtende Kritik an der Behandlung von Frauen durch die Gesellschaft und die psychiatrische Industrie. Die Autorin zeigt, dass sich im Laufe der Jahrhunderte wenig geändert hat.

Nach einem missglückten Selbstmordversuch landet Emilie in der Psychiatrie, ihre selbst gestellte Diagnose lautet: „Selbstmordgefährdet, unfähig im Alltag zuverlässig zu funktionieren.“
Von all den Dingen, die sie mitgebracht hat, bleibt ihr am Ende nur ihr Notizbuch und als sie das aus dem Regal nimmt, findet sie einen alten Zettel, einen Brief, geschrieben von Emily, die ebenfalls Patientin in einer Anstalt ist, allerdings zu einer völlig anderen Zeit. Die beiden jungen Frauen sind nicht nur Namensvetterinnen, sie verbindet viel mehr und so taucht Emilie immer tiefer in Emilys Geschichte ein.

Gleich nachdem „Die Anstalt für ungehorsame viktorianische Mädchen“ angekündigt wurde, habe ich das Buch vorbestellt und auf ein kleines Highlight gehofft, etwas Besonderes. 
Von der Aufmachung her ist es das auf jeden Fall, schon allein der rote Buchschnitt mit den Rattentapsen sieht toll aus, die rote Schrift und die Illustrationen machen es zu einem echten Hingucker. Leider sieht es bei der Story etwas anders aus. Mit Emilie bin ich absolut nicht warm geworden, von Anfang an ist sie für mich ungreifbar. Scheinbar sind ihr im Leben bisher nur schlimme Dinge wiederfahren, vielleicht redet sie sich das alles auch nur ein, man weiß es nicht. Ich will damit keineswegs abstreiten, dass Menschen immer wieder schreckliches passiert und einen das brechen kann, aber hier wirkt das Ganze für mich einfach so, als hätte Emilie Autumn alles, was ihr einfiel in einen Topf geworfen und einmal kräftig umgerührt, um jedes Klischee von Irrenhäusern und garstigen Ärzten erfüllen zu können.
Aber nicht nur Emilie hat es schwer, nein, Emily im Jahre 1845 trifft es noch viel doller, was natürlich vor allem auch der damaligen Zeit und der Stellung der Frau in der Gesellschaft geschuldet ist. Einige Szenen sind wirklich hart und ließen mich schlucken, zeigen, wie wenig wert ein Leben ist. Selbst mitmachen möchte man so etwas auf keinen Fall. Und so schafft es Emily fast, dass Ruder herumzureißen. Aber nur fast, denn dann wird auch ihr Part immer unglaubwürdiger und je näher das Ende rückte, umso mehr nervte mich die Geschichte, dabei wollte ich Mitleid mit den beiden Frauen und ihren geschundenen Seelen haben, aber es gelingt mir einfach nicht. Die eine gibt sich unnahbar und taucht nur zwischendurch ab und an mal auf, dann aber mit Erlebnissen, bei denen ich nur den Kopf schütteln kann. Natürlich geht es in diesem Buch um Wahn, um die Frage was ist wahr, was sind Hirngespinste, aber andere Autoren haben sich meiner Meinung nach besser und packender mit diesem Thema auseinandergesetzt, haben ihre Figuren glaubhaftere Dinge erleben lassen. Hier sitze ich am Ende einfach nur da und frage mich, warum das Buch nicht früher geendet hat, die letzten Seiten ziehen sich für mich wie Kaugummi, dabei ist doch eigentlich längst klar, was los ist.

Emilie Autumns Buch befasst sich mit einem wichtigen Thema, das steht außer Frage, allerdings bin ich nicht so ganz glücklich mit der Umsetzung, mir werden hier einfach zu viele Klischees bedient. Im Gegensatz zu Emilys Geschichte fand ich Emilies Teil eher langweilig. Einerseits wollte ich gern mehr über sie und ihr Schicksal wissen, andererseits war ich froh, dass ihre Abschnitte recht kurz gehalten waren.
Auch wenn sich das alles jetzt vielleicht ein bisschen nach einem Verriss anhört, ist das Buch keineswegs schlecht. Die Autorin kann schreiben, einige Zeilen haben sich in mein Hirn eingebrannt, andere haben mich zum Nachdenken gebracht. Unterm Strich hat es meine Erwartungen nicht erfüllt, man verpasst nichts, wenn man es nicht liest und so wollte ich eigentlich 3 Miezekatzen vergeben. Für die tolle Aufmachung packe ich aber noch einen halben Punkt drauf und so können sich die beiden Emis 3,5 von 5 Miezen teilen.

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