“ … Belastbare Daten zu gewinnen war das eine. Es galt aber nun auch, das ganze Projekt reibungslos über die Bühne zu bringen. Viel zu sehr hatten sie sich schon in Gefahr gebracht und riskiert, jahrelange Arbeit in den Sand zu setzen. Die Verlockung, perfekte Daten zu gewinnen, machte scheinbar zu schnell leichtsinnig. …“
Deutschland 2026: Ein geheimes Forschungsprojekt von Regierung und Pharmaindustrie soll die Frage, ob es den ›freien Willen‹ gibt, endgültig beantworten. Eine Auswahl an Straftätern wird auf eine deutsche Ostseeinsel verlegt, die für den Einzug der Probanden präpariert wurde und deren Bewohner – bis auf eine Gruppe Widerständler – in den letzten Monaten umgesiedelt worden sind. Auch Tammy findet sich auf einem der Schiffe wieder, hat sie sich doch vor Kurzem heimtückisch an ihrem untreuen Ex-Freund gerächt, der ausgerechnet Sohn eines der obersten Entscheidungsträger der Regierung ist. Auf der Fahrt lernt sie Alex kennen, einen jungen Sozialarbeiter, der gerade sein Studium beendet und seine Laufbahn als Bewährungshelfer begonnen hat. Er ist einer der Auserwählten, die das Experiment betreuen sollen.
Ein Experiment auf Leben und Tod.
Alex fiebert seinem Bewerbungsgespräch als Bewährungshelfer entgegen und bereits einige Tage später steht fest, er bekommt den Job. Doch dafür muss er seine Heimatstadt verlassen, denn sein neuer Arbeitsplatz befindet sich auf einer Insel in der Ostsee. Dorthin sollen Straftäter gebracht werden, die kleinere Delikte begangen haben, deren Chance ins normale Leben zurück zukehren ohne rückfällig zu werden hoch ist. Sie können sich auf der Insel frei bewegen und brauchen natürlich einen Betreuer. Kurzentschlossen sagt Alex zu, muss aber schon bald feststellen, dass hier einige Dinge im Argen liegen. So befinden sich unter den Verurteilten zum Beispiel ein Kinderschänder und eine Frau, die ihren Freund verstümmelt hat. Und das ist noch nicht alles …
Wenn es um Geld und Erfolg geht, bleibt die Ethik gern mal auf der Strecke, sei es in der Politik oder in der Wirtschaft. Dass da viel gemauschelt wird, ist ja nichts Neues und so weit hergeholt ist die Geschichte, die Marcel Riepegerste in „Raum 211“ erzählt, wahrscheinlich gar nicht. Da werden die Bewohner mit Geld und Jobs von der Insel gelockt, um freie Hand zu haben und ohne unerwünschte Besucher schalten und walten zu können. Ja, mit Winfried, Anton, Dr. Euler und Sanja hat er Charaktere erschaffen, die ihr eigenes Ziel verfolgen und keines davon ist besonders ehrbar. Sie alle mischen auf der „Gefängnisinsel“ mit, ziehen im Hintergrund die Fäden oder kämpfen an vorderster Front. Zwischen ihnen und den Gefangenen steht nur Alex, der mit großen Erwartungen an seinen neuen Job herangeht, er will sich einbringen, Gutes tun und hat absolut keine Ahnung, was wirklich gespielt wird.
Ich muss gestehen, mir fällt es teilweise doch etwas schwer, die Inhaftierten als arme Opfer zu sehen, denn gerade Manfred ist so ein Fall, bei dem es einem eiskalt den Rücken runterläuft. Allerdings zeigt das auch, wie lebendig der Autor seine Figuren erschaffen hat, dem einen oder anderen möchte man da schon gern persönlich den Hals umdrehen. Zu Beginn verwirren die vielen Namen über den jeweiligen Kapiteln noch etwas, spätestens wenn es nach dieser Einleitung auf die Insel geht, hat man damit aber keine Probleme mehr. In den Überschriften stehen übrigens nur Vornamen, denn egal ob Bundeskanzler, Minister oder Dorfbewohner, zumindest da sind sie alle gleich.
Ein genialer Schachzug ist für mich der Prolog, in dem auf die Diskussion zwischen Prof. Dr. Richard David Precht und dem Anwalt und Autor Ferdinand von Schirach zum Thema „Das Böse im Menschen“ eingegangen wird, die Zitate der beiden ziehen sich wie ein roter Faden durch das Buch und am Ende bleibt die Frage: Entscheiden wir uns wirklich bewusst dazu, etwas zu tun?
Das Libet-Experiment aus dem Jahre 1984 ist der Grundstein für Marcel Piepegerstes Thriller. Ich muss gestehen, dass ich vorher noch nichts davon gehört oder gelesen habe, das Thema an sich aber sehr faszinierend finde und so auch die Geschichte mit Spannung verfolgt habe. Nur die Liebesgeschichte passte für mich nicht so recht ins Bild, sie erschien eher etwas erzwungen. Trotzdem bin ich natürlich gespannt, ob und wie es mit Alex, Tammy und Gunnar weitergeht und vergebe für „Raum 211“ 4 von 5 Miezekatzen.