„Blutland: Highway of Tears“ – Simone Trojahn

“ … Sie hat zwar ein paar unheimliche Geschichten über Frauen gehört, die p0er Anhalter fahren wollten und nie wieder aufgetaucht sind, sowie von verwesten Leichen und Knochenresten, die in der Wildnis rund um den Highway 16 gefunden wurden, doch in ihrer Welt sind das typische Lagerfeuermärchen, die sich Jugendliche beim Campen in lauen Sommernächten erzählen, um einander Angst zu machen. …“

Bist du schon mal per Anhalter gefahren? Nach diesem Buch wirst du es nicht mehr tun! Seit dem frühen Tod der Mutter leben Tammy, Scott und Kyle mit ihrem psychisch kranken Vater und der seit einem Hirnschlag katatonischen Großmutter auf einer heruntergewirtschafteten Farm im kanadischen Hinterland. Eine von Gott verlassene Gegend, in der die Kinder hilflos dabei zusehen müssen, wie der Realitätsverlust des schizophrenen Vaters unerbittlich fortschreitet und ihn zu unfassbaren Gräueltaten treibt. Der daraus resultierende Teufelskreis aus Angst, Wahnsinn und roher Gewalt ist allerdings nur eines von vielen Schreckensszenarien, die sich im Dunstkreis des berüchtigten Highway of Tears abgespielt und das umliegende Land in ungesühntes Blut getaucht haben. An diesem Highway stehen seit Jahren Schilder, die junge Frauen davor warnen, per Anhalter zu reisen, da dort Mörder ihr Unwesen treiben. Wer es trotzdem tut, handelt auf eigene Gefahr – so wie jeder, der dieses Buch liest …

Als Shelly an jenem Abend 1994 aufbricht, um ihrem Freund im Nachbarort bei seiner Schicht an der Tankstelle Gesellschaft zu leisten, ahnt sie nicht, welche Wendung ihr Leben nimmt.  Natürlich hat sie schon von den Vermissten und den Leichen gehört, aber niemals wäre sie so dumm und würde zu einem Unbekannten ins Auto steigen. Bei einem bekannten Gesicht, einem Nachbarn, sieht die Sache allerdings schon ganz anders aus, denn 10 km in der Kälte sind ein langer Weg und ein gepolsterter Autositz sehr verlockend …

Der über 700 km lange Highway 16 zwischen Prince George und Prince Rupert in Kanada ist besser bekannt als der „Highway of Tears“, da dort seit 1970 immer wieder Frauen verschwinden und man später ihre Leichen findet. Heute stehen entlang der Strecke überall Schilder, die vor dem Trampen warnen, denn noch immer hat man keine/n Täter ermittelt. Allerdings leben die Menschen dort sehr zurückgezogen, sind größtenteils arm und es gibt eine Menge wilder Tiere, die sich über eine zusätzliche Fleischration freut.
Es ist eine sehr trostlose Gegend, in der Simone Trojahn ihr neuestes Buch ansiedelt, aber es passt perfekt für ihre Geschichte, auch wenn es etwas anders ist als bisher. Mit anders meine ich natürlich nicht den Härtegrad, sondern die Erzählweise, denn diesmal gibt es keinen Protagonisten, um den sich alles dreht, mit dem man mitfiebert, den man liebt oder hasst. Stattdessen erzählt sie uns eine Familiengeschichte und die hat so gar nichts mit den üblichen kitschigen, manchmal tragischen Familiensagas zu tun, denn wo Trojahn draufsteht ist definitiv auch Trojahn drin.^^
Und so lernt der Leser recht bald die Familie Irving kennen, die 14-jährige Tammy und ihre beiden kleineren Brüder Kyle und Scott, ihrem Dad Bryan und ihre Großmutter, die ein Pflegefall und geistig nicht mehr anwesend ist. Zusammen wohnen sie auf einer abgelegenen Farm, Geld ist knapp, das Haus ist heruntergekommen, angebaut wird auf den brachliegenden Feldern schon lange nichts mehr. Seit dem Tod seiner Frau ist Bryan zudem etwas merkwürdig drauf und hat nur eins im Kopf: seine Pilze, denn die sind die einzige Einnahmequelle.
Das Leben in der Abgeschiedenheit ist nicht leicht, vor allem, wenn die Frau im Haus fehlt. Doch nicht nur die Irving-Kinder haben es schwer, auch der Rest der Bevölkerung, besonders die Ureinwohner Kanadas, haben ihr Päckchen zu tragen, darauf weist die Autorin immer wieder hin und macht damit auch auf die Lage der über 600 dort ansässigen Stämme aufmerksam. Ich habe nach Beendigung des Buches tatsächlich gegoogelt und so ein wenig Einblick in die dort herrschenden Verhältnisse erhalten, man kann also sagen, ich habe aus diesem Buch durchaus etwas gelernt. Pilze anbauen werde ich wohl aber trotzdem nie.^^ 

„Blutland“ widmet sich einem traurigen Stück kanadischer Geschichte, das aber dennoch fasziniert, gerade weil viele der Morde bis heute ungelöst und einige Frauen noch immer verschwunden sind. Das kurbelt die Fantasie an und die Neugier.
Wer sich schon einmal mit dem Thema beschäftigt hat, weiß, dass ihn hier so schon keine leichte Kost erwartet und wenn sich dann noch Simone Trojahn der Sache annimmt … Sagt nicht, ich hätte euch nicht gewarnt. Das Buch ist ein Albtraum, auf mehreren Ebenen und verdient dafür 4 von 5 Miezekatzen.

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