„1793“ – Niklas Natt och Dag

„… Warte nicht länger auf mich im Schatten der Bäume, mit rosigen Wangen und im weißen Leinrock, den Mutter dir zum Geburtstag schenkte, der Dein letzter werden sollte. Stattdessen bete ich Tag für Tag, dass Du noch immer in jener Grube liegen mögest, die ich für Dich gegraben habe, und dass nach Deinem Tod keine paradiesische Wiese auf Dich gewartet hat, auf der Du erfahren haben könntest, was ich getan habe. Und ich bete darum, alsbald selbst in einen ähnlichen dunklen Brunnen versenkt zu werden, in dem mir bloß ein leeres Nichts bleibt und nichts weiter.“ (Seite 227)

Stockholm im Jahr 1793: Ein verstümmeltes Bündel treibt in der schlammigen Stadtkloake. Es sind die Überreste eines Menschen, fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Der Ruf nach Gerechtigkeit spornt zwei Ermittler an, diesen grausamen Fund aufzuklären: den Juristen Cecil Winge, genialer als Sherlock Holmes und bei der Stockholmer Polizei für »besondere Verbrechen« zuständig, und Jean Michael Cardell, einen traumatisierten Veteranen mit einem Holzarm. Schon bald finden sie heraus, dass das Opfer mit chirurgischer Präzision gefoltert wurde, doch das ist nur einer von vielen Abgründen, die auf sie warten …

Stockholm im Jahre 1793: Cardell, ein Kriegsveteran, der einen Arm verloren hat, arbeitet bei der Stadtwache, weder ein besonders angesehener, noch einträglicher Job. Als man ihm einen Leichenfund in der Kloake meldet, ist er alles andere als begeistert, muss er die Leiche doch eigenhändig bergen und dann erwartet ihn auch noch das pure Grauen, denn der Tote ist fürchterlich verstümmelt und es scheint so, als wären ihm alle diese Verletzungen noch vor seinem Tod beigebracht worden.
Der Fall wird Cecil Winge zugeteilt, einem Ermittler, der nichts mehr zu verlieren hat, denn die Tuberkulose hält ihn fest im Griff und ihm ist klar, dass das seine letzte Nachforschung wird.
Wenigstens muss er sich keine Sorgen mehr machen mit seinem Ermittlungsmethoden irgendwo anzuecken. Winge ist eine Art Sonderermittler für die Polizei, ein wirklich intelligenter Zeitgenosse, der all seine noch vorhandene Energie in die Aufklärung des Mordes steckt, doch den beiden wird es nicht einfach gemacht…

„1793“ wurde ja überall ziemlich gehypt, meist sind es dann allerdings genau die Bücher, die mich enttäuschen, vielleicht, weil mein Geschmack einfach nicht massentauglich ist. Niklas Natt och Dag schafft es allerdings, mich von Anfang an ins Geschehen eintauchen zu lassen, er beschreibt das Leben zu jener Zeit und auch Stockholm mit all dem Dreck und Unrat, da wird nichts beschönigt, wohl keiner wird nach diesem Buch sagen, dass er gerne in jener Zeit gelebt hätte.
Aber gerade all diese Beschreibungen lassen das Geschehen regelrecht vor den eigenen Augen ablaufen.
Auch die beiden Ermittler wecken Emotionen. Jean Michael Cardell, der ohne Arm aus dem Krieg zurückkehrte und aus Mitleid den Job bei der Stadtwache bekam, hangelt sich von Kneipenbesuch zu Kneipenbesuch. Ihn schockiert zwar der Anblick der Leiche, aber eigentlich ist die Sache für ihn damit auch schon so gut wie erledigt. Dann allerdings kommt Cecil Winge ins Spiel, die beiden Männer können zunächst nichts miteinander anfangen, doch je mehr Zeit verstreicht, umso mehr wächst Cardells Respekt für Winge, der alles ihm mögliche tut, um herauszufinden, was passiert ist und auf seine Krankheit pfeift. Schließlich will auch Cardell den Fall unbedingt zum Abschluss bringen, beide sind aufeinander angewiesen.
Doch außer den beiden Ermittlern ist auch zwei anderen Protagonisten jeweils ein Teil des Buches gewidmet. Den Anfang macht Blix, der gerade dabei ist, endlich das Leben der Schönen und Reichen kennenzulernen und dann durch eine Verkettung unglückseliger Umstände bei einem Herren landet, der ihn zwingt, schlimme Dinge zu tun, Dinge, die sein Leben für immer verändern.
Im dritten Teil treffen wir schließlich auf Anna Stina, eine Frau, die fälschlicherweise der Hurerei angeklagt wird und bei der ich lange überlegt habe, welche Rolle sie nun eigentlich spielt, aber natürlich greift am Ende eins ins andere über und man erkennt die Zusammenhänge, die vorher verborgen waren…

Hat das Buch diesen Hype nun verdient?
Ich fand es sehr informativ und bin verdammt froh, dass ich zu eben jener Zeit nicht leben musste, denn das Leben war damals kein Zuckerschlecken, erst recht nicht als Frau. Besonders die Ermittler sind sehr gut gezeichnete Charaktere, beide tragen ihr eigenes Päckchen und haben ihre Überzeugungen, aber das Herz am rechten Fleck, umso schlimmer ist es, dass man weiß, welches Schicksal Winge blüht, das macht alles gleich noch düsterer.
Lediglich mit dem Schreibstil im zweiten Teil habe ich mich etwas schwer getan, der Brief, den Blix an seine Schwester schreibt, hat meinen Lesefluss zu Beginn doch etwas gebremst.
Trotz seines Umfangs ist das Buch zu keiner Zeit langatmig, ich wurde regelrecht mitgerissen von der Story und dem Schreibstil. Allerdings könnten die genauen Beschreibungen für einige Leser doch etwas zu detailliert und unschön sein, zarte Pflänzchen sollten also lieber einen großen Bogen um das Buch machen, denn selbst ich habe mich bei einigen Schilderungen sehr unwohl gefühlt.

Das schwarze Cover mit der goldenen Jahreszahl ist definitiv ein Blickfang und auch wenn lediglich die Blutflecke erahnen lassen, in welche Richtung es geht, gefällt es mir wirklich gut.
Niklas Natt och Dag hat sich sehr genau mit dieser Zeit auseinandergesetzt und schafft es so, seine Leser mit auf einen blutigen Trip in die schwedische Geschichte zu nehmen, bei dem man Ende froh ist, zu Hause auf der Couch zu liegen und nicht irgendwo in den dreckigen Straßen Stockholms. Dafür vergebe ich gern stolze 4 von 5 Miezekatzen.

01. „1793“
02. „1794“
03. „1795“

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