„Das Jahr der Hexen“ – Alexis Henderson

“ … Schluss damit, dachte Immanuelle. Keine Strafen mehr, keine Gebote. Keine Sprechverbote, kein Sühnekerker mehr. Keine Scheiterhaufen, keine Opfermesser. Keine Prügel mehr für Mädchen, bis sie schwiegen. Keine Bräute mehr in weißen Kleidern, die wie Opferlämmer auf dem Altar auf ihre Schlachtung warteten. …“ (S. 449)

Ein atemberaubender Roman über eine junge Frau, die in einer unerbittlich puritanischen Gesellschaft lebt und dunkle Kräfte in sich entdeckt.

In Bethel ist das Wort des Propheten Gesetz. Allein Immanuelles bloße Existenz durch die Liebe ihrer Mutter zu einem Fremden ist Gotteslästerung.
So wie alle anderen Frauen in der Siedlung führt Immanuelle ein Leben der Unterwerfung und absoluten Hingabe.
Doch dann betritt sie die verbotenen Dunklen Wälder, die Bethel umgeben. Sie werden von den Geistern von vier Hexen heimgesucht. Diese machen Immanuelle ein außergewöhnliches Geschenk: Das Tagebuch ihrer verstorbenen Mutter …
Fasziniert von den geheimnisvollen Aufzeichnungen, fällt es Immanuelle schwer zu verstehen, weshalb sich ihre Mutter mit den mächtigen Hexen verbündete. Bis sie die grausame Wahrheit über den Heiligen Krieg des ersten Propheten erfährt, bei dem unzählige Frauen und Mädchen missbraucht, gefoltert und verbrannt wurden.

Immanuelle hat in ihrem Heimatstädtchen keinen besonders guten Stand, ihr Vater Daniel Ward wurde auf dem Scheiterhaufen verbrannt, ihre Mutter Miriam Moore starb bei der Geburt und lebte nach dem Tod ihres Geliebten in den dunklen Wäldern bei den Hexen. Aufgewachsen bei ihren Großeltern versucht sie das Beste aus der Situation zu machen, doch wirklich dazu gehört sie nicht. Als sie auf dem Markt einen Ziegenbock verkaufen soll und der in die verbotenen Wälder flieht, nimmt das Schicksal seinen Lauf. Die junge Frau kehrt mit dem Tagebuch ihrer Mutter nach Hause zurück, das eine unheimliche Macht auf sie ausübt. Und auch die Stimmen aus dem Wald werden immer lauter.

Geschichten über Hexen und dunkle Mächte haben mich schon immer fasziniert und so habe ich von Alexis Hendersons Erstlingswerk einiges erhofft. Wer hier auf auf böse alte Frauen und gemeine Flüche hofft, wird wahrscheinlich etwas enttäuscht sein, denn ja, es gibt schaurige Hexen, aber eigentlich sind sie nur Randfiguren, die mit ihren „Verwünschungen“ den Grundstein für das Geschehen in Bethel legen, in dessen Mittelpunkt eine junge Frau steht steht. Leider erfährt man nicht genau, in welcher Zeit „Das Jahr der Hexen“ spielt, aber ich tippe mal grob auf das Ende des 16., Anfang des 17. Jahrhunderts, denn das war die Hochzeit der Hexenprozesse in Neuengland. Immanuelle Moore ist eine Außenseiterin, ihre Eltern tot, ihr Großvater wurde von seinem religiösen Amt entbunden, da er das Kind seiner verdammten Tochter aufgenommen hat. Religion spielt eine wichtige Rolle in Bethel, die Worte des Propheten, des Führers sind Gesetz und wer dagegen aufbegehrt, wird bestraft. Das gilt vor allem für Frauen, die keine Rechte haben und wie Besitz behandelt werden, sich aber nicht trauen dagegen zu protestieren, denn wer aufmuckt, landet schnell im Feuer, also hält man den Mund und fügt sich.
Auch Immanuelle wirkt anfangs recht angepasst, auch wenn man ihr, im Gegensatz zu allen anderen, immer mal wieder eine „ketzerische“ Bemerkung durchgehen lässt, ohne sie darauf festzunageln, sie ist eben anders. Wehrt sie sich zu Beginn noch gegen jene Stimmen, die sie rufen, gewinnt die Neugier irgendwann doch Oberhand. Nach ihren ersten, unfreiwilligen Ausflug in die verbotenen Wälder, beginnt sie sich aufzulehnen und die Dinge zu hinterfragen. Ich habe sie gern auf ihrem Selbstfindungstrip begleitet und mich zusammen mit ihr und dem Tagebuch ihrer Mutter auf Spurensuche begeben, auf eine Reise in die dunkle Geschichte der Stadt, deren Grundpfeiler Lügen, Intrigen und Amtsmissbrauch sind, angereichert mit einer großen Portion Angst, um das gemeine Volk gefügig zu machen. In dieser Zeit zu leben, muss die Hölle auf Erden gewesen sein, außer natürlich, man bekleidete ein hohes Amt in der Kirche, mit meiner großen Klappe wäre ich da wahrscheinlich nicht sehr weit gekommen.^^
Alexis Henderson stellt ihren Kapiteln immer ein Zitat voran, mal aus der heiligen Schrift, mal aus dem Tagebuch von Miriam Moore, mal Mitschriften vom Prozess gegen Daniel Ward, das lässt den Leser noch tiefer ins Geschehen abtauchen und hilft dabei, sich ein Bild von Immanuelles Eltern zu machen, die selbst ja nicht mehr zu Wort kommen können, ein kluger Schachzug. Überhaupt besitzen die Charaktere sehr viel Tiefe. Martha und Abram, die Großeltern, mögen kaltherzig erscheinen, man kann ihre Handlungen aber immer nachvollziehen, das gilt ebenso für Leah, Immanuelles beste Freundin und Ezra, den Sohn des Propheten. Die Autorin gewährt einen Einblick in den Alltag der Menschen, teilt ihre Hoffnungen und Ängste und macht den Leser damit zu einem stillen Beobachter, der zwar nicht eingreifen kann, sich aber dennoch mitten im Geschehen befindet. Da verzeihe ich ihr auch, dass Ezras Rolle, zumindest für mich, absolut vorhersehbar war, aber egal, ich mochte ihn trotzdem.
Wurden meine Erwartungen also erfüllt? Definitiv, auch wenn sich die Story in eine etwas andere Richtung entwickelt, als erwartet. Bevor man also zum Buch greift, sollte man sich darüber im Klaren sein, dass man keine Hexengeschichte im eigentlichen Sinne serviert bekommt, sondern den Kampf einer Frau gegen die von Männern aufgestellten Regeln. Und wer denkt, das wäre langweilig, der irrt sich, denn natürlich sind auch dunkle Mächte am Werk, aber eben nicht vordergründig.
„Das Jahr der Hexen“ erschien in der „Must Read“ Reihe des Festa Verlages und genau da gehört es hin.

Oh man, ich glaube, ich habe schon viel zu viel geschrieben, also mache ich es hier kurz.
Anders als erwartet, aber für mich total fesselnd und faszinierend, für „Das Jahr der Hexen“ vergebe ich stolze 4,5 von 5 schwarzen Miezekatzen.^^

Please follow and like us:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert